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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen
Autoren: Cassandra Negra
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hatte.
    »Überlegen Sie genau, und denken Sie an das, was ich Ihnen gesagt habe, versetzen Sie sich in ihn hinein! Was hat ihn angetrieben?«
    Die Kommilitonen zuckten mit den Schultern; ganz offensichtlich wussten sie nicht weiter. Und da hatte Lea erneut über nommen. Diese jungen Frauen, hatte sie weiter vermutet, wur den bestialisch erstochen – wie das Vieh, das Keller aufschlitzte und ausbluten ließ, weil er das Töten liebte. Er musste eine tiefe Befriedigung aus seinen Morden an den wehrlosen vier beinigen Kreaturen empfunden haben. Vermutlich die gleiche widerwärtige Befriedigung, die er verspürte, nachdem er seine Großmutter erstochen hatte. Wahrscheinlich wollte er diesen Moment für immer festhalten, damit er sich jederzeit wieder diesen Adrenalinschub verschaffen konnte.
    Und während sie damals den Täter analysierte, hatte sie gespürt, dass sie immer tiefer in seine Seele eingetaucht war. Es war eine Gabe, etwas Besessenes, das sie trieb – etwas, das beinahe spirituell war.
    »Vermutlich packte er die menschlichen Überreste in Plastiktüten«, hatte sie gemurmelt. »Für ihn waren sie einfach nur Müll, den man entsorgen musste. Nichts sollte mehr an die jungen Frauen erinnern, nichts Menschliches sollte ihnen mehr anhaften. Niemand sollte sie so leicht identifizieren können.«
    Ja, die Leidenschaft hatte sie gepackt. Je mehr sie in die Seele des Mörders eintauchte, umso interessierter und umso emotionaler wurde sie. Sie spürte, dass sie einen Täter nur verstehen konnte, wenn sie versuchte, seinen Emotionen nachzuspüren.
    Tatsächlich, so kristallisierte sich heraus, hatte der Täter die Köpfe seiner beiden Opfer separat versenkt. Schließlich war sein Zwang zum Töten eskaliert, und er ermordete weitere junge Frauen.
    »Und nicht nur das«, fuhr ihr Professor fort. Noch heute konnte sie spüren, was sie damals empfunden hatte – sie bekam eine leichte Gänsehaut, als sie seine Worte in ihrer Erinnerung hörte. »Er tötete seine dominante Mutter.«
    Sie spürte diesen Schauer, der sie überkam – es war nichts Wohliges, nichts, das sie empfinden würde, weil sie sich bestätigt fühlte. Nein, es war etwas von dem Grauen, etwas von dem Leiden der Opfer, das sie spüren konnte. Sie fühlte sich ihnen nahe. Aber bei all der Kaltblütigkeit, die Keller an den Tag legte, war er doch kein gestörter oder gar dummer Mensch. Ganz im Gegenteil.
    Wie sich herausstellte, war er keiner der typischen Serientäter, sondern ein heller Bursche mit einem IQ von 145. Im Laufe der Jahre, berichtete der erfahrene Kriminalist, hatte er mehrfach das Vergnügen gehabt, längere Gespräche mit ihm zu führen. Jedes davon war informativ gewesen, jedes erschütternd und detailliert. Ihm gegenüber hatte ein Mann gesessen, der junge Frauen in der Blüte ihres Lebens kaltblütig abgeschlachtet hatte. Dennoch wäre es unehrlich gewesen, wenn er gesagt hätte, dass er ihn nicht gemocht hatte.
    Wie konnte das sein?
    Lea war damals ebenso schockiert gewesen wie all ihre Kommilitonen.
    »Er war freundlich, offen, sensibel und hatte Sinn für Humor. Und sofern man so etwas überhaupt sagen kann, muss ich zugeben, dass ich gern mit ihm zusammen war«, hörte sie seine Worte, die immer mehr Unverständnis in ihr hervorgerufen hatten.
    Wie nur hatte er Sympathie für einen kalten, emotionslosen, sadistischen Killer empfinden können? Auch heute noch konn te Lea es einfach nicht verstehen. Keller war ein kaltblütiger Mörder, für den es um Manipulation, Dominanz und Kontrolle ging. Alles, was er tat und dachte, war daraufhin ausgerichtet, sein sonst so leeres Leben auszufüllen. Und dann kamen die Worte, die ihr bis heute tief im Gedächtnis geblieben waren.
    »Da ist noch etwas, das ich Ihnen mit auf den Weg geben möchte, und bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Die Hintergründe, die ich Ihnen geschildert habe, können nicht entschuldigen, was er getan hat. Alles in meiner eigenen Geschichte und Erfahrung sagt mir, dass Menschen für ihre Taten verantwortlich sind. Meiner Meinung nach ist Keller aber ein Beispiel für jemanden, der nicht als Serienmörder geboren, sondern zu einem gemacht wurde. Hätte er dieselben Mordfantasien gehabt, wenn er in einer stabileren und liebevolleren Umgebung aufgewachsen wäre? Wer weiß? Aber hätte er sie auf dieselbe Art und Weise in die Tat umgesetzt, wenn es nicht diese unglaubliche Wut gegen eine dominante weibliche Persönlichkeit in seinem Leben gegeben hätte? Ich glaube
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