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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen
Autoren: Cassandra Negra
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wollte wissen, was ihn zu dem Politiker gemacht hatte, als der er später in die Geschichte eingegangen war: als Unmensch, Diktator und Massenmörder.
    Aber selten waren die Verbrecher in der Öffentlichkeit so präsent wie der ehemalige deutsche Diktator. Oft wurden sie von Freunden und Bekannten sogar als ganz normale, unauffällige Menschen beschrieben, sodass bei jedem Fall unterschwellig immer auch die Angst der Menschen mitschwang, jemand aus ihrem Umfeld könnte der Täter sein. Vermutlich war es aber genau diese ungewöhnliche Kombination von Angst, Abscheu, Ekel und Faszination, die einen ganz besonderen »Thrill« für die angehende Profilerin ausmachte.
    Aber das war nur die eine Seite der Medaille. Die andere, für Lea sehr viel faszinierendere, war die Frage nach dem Warum. Warum mordeten, vergewaltigten oder folterten die Täter? Was hatte sie zu jenen »Bestien« gemacht, die sie im Augenblick ihrer Tat waren?
    Serienmörder faszinierten sie, weil sie sich scheinbar unbeschwert über alle Normen hinwegsetzen konnten, und dennoch waren sie wohl mehrheitlich unglückliche Menschen. Sie litten an ihrem Anderssein, das aus geheimen Orten ihres Inneren kam. Häufig war es ihnen eine Qual, dass sie ihren Trieben folgen mussten. Aber ihre inneren Gefühlsregungen waren für ihre Umgebung nicht seismografisch zu erfassen, und genau das machte es so schwierig. Auch aus diesem Grunde konnten sie häufig über lange Zeiträume hinweg ungestört und unauffällig agieren.
    Vielleicht liebte Lea es auch einfach, Spuren zu verfolgen, komplizierte Puzzleteile zusammenzufügen und sich in diese Menschen hineinzuversetzen, die so viel anders, so viel abgründiger, geheimnisvoller und unergründlicher waren als die Täter in all den anderen Mordfällen.
    Die meisten der späteren Serienmörder wurden nicht als solche geboren. Vielmehr war es meist ihre soziale Umgebung – die Familie, Freunde, Schule – die sie prägte. Gerade in den frühen Jahren wurden die Weichen gestellt.
    Noch gut konnte sie sich an einen der ersten Fälle erinnern, der damals im dritten Semester ihrer Ausbildung durchgenommen worden war: der Fall von Jo Keller.
    Professor Steiner hatte ihnen den Fall vorgestellt. Bei dem Gedanken an Steiner musste sie schmunzeln. Mit seinen dichten grauen Haaren und den ebenso vollen Augenbrauen, dem gepflegten Bart und seinen durchdringenden Augen hatte er ein wenig an Sean Connery in seinen späteren Jahren erinnert. Steiner war ein äußerst smarter Typ, in den mindestens die Hälf te der weiblichen Teilnehmer ihres Studiengangs verschossen war – genau wie Lea selbst.
    Wie gebannt hatte sie an seinen Lippen gehangen und jedes Wort von ihm gierig aufgesogen. Die Details dieses Falles waren gut dokumentiert; immerhin hatte der Wissenschaftler den Täter für Forschungszwecke einige Male im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses in den USA besucht und lange Interviews mit ihm geführt. Der Fall hatte Lea gleichzeitig fasziniert und abgestoßen, was wohl mit der verlockenden Magie des Bösen zu erklären war.
    Die Geschichte Jo Kellers begann 1984 in Kalifornien. Er wuchs zusammen mit zwei jüngeren Schwestern in einer Familie auf, die alles andere als intakt war.
    Die Eltern stritten ununterbrochen und trennten sich schließlich. Schon früh begann seine Mutter Claire ihn zu hassen. Vielleicht lag es daran, dass er seinem Vater Ed so ähnlich sah.
    Mit zehn Jahren war er für sein Alter bereits ein Riese, und seine Mutter fürchtete, er könne seine Schwestern belästigen. Daher sperrte sie ihn jeden Abend in einen fensterlosen Kellerraum, wo er neben der Heizung schlafen musste. Das machte ihm Angst und schürte abgrundtiefen Hass gegen die Mutter und die beiden Schwestern.
    Sein Verhalten wurde zunehmend auffälliger. Keller zerstückelte zwei Hunde und trieb rituelle Todesspiele mit seiner älteren Schwester, bis ihn seine Mutter zu seinem Vater schickte.
    Schließlich landete er bei seinen Großeltern, wo er sich auf der abgelegenen Farm weitab von der übrigen Familie fast zu Tode langweilte. Dort erschoss er als Vierzehnjähriger seine Großmutter, nachdem sie darauf bestanden hatte, dass er ihr im Haushalt helfen sollte, statt mit dem Großvater, den er lieber mochte, auf das Feld zu gehen. Schließlich erschoss er auch den Großvater bei dessen Heimkehr, um den lästigen Zeugen loszuwerden.
    Beim späteren Verhör gab er als Grund für seine Tat an, er habe nur wissen wollen, wie es sich anfühlte,
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