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Die Luna-Chroniken: Die Armee der Königin (German Edition)

Die Luna-Chroniken: Die Armee der Königin (German Edition)

Titel: Die Luna-Chroniken: Die Armee der Königin (German Edition)
Autoren: Marissa Meyer
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dunklen Zeiten, nicht wussten, was für eine tödliche Krankheit die Liebe ist. Sie hielten sie lange sogar für etw as Gutes , etwas, worüber man sich freuen und wonach man streben sollte. Aber genau deshalb ist sie ja so gefährlich: » Sie beeinträchtigt den Verstand, bis man nicht mehr in der Lage ist, klar zu denken oder rationale Entscheidungen über das eigene Wohlergehen zu treffen.« (Das ist Symptom Nummer zwölf aus dem Abschnitt über Amor deliria nervosa im Persönlichen Sicherheits- und Schutztraktat. Glück und Gesundheit für alle , 12. Auflage, oder, wie wir es nennen, Das Buch Psst .) Die Leute damals sprachen von anderen Krankheiten – von Stress, Herzbeschwerden, Angstzuständen, Depressionen, Bluthochdruck, Schlaflosigkeit, bipolarer Störung –, ohne zu bemerken, dass dies nur Symptome der Amor deliria nervosa waren.
    Natürlich sind wir in den Vereinigten Staaten noch nicht völlig erlöst von der Deliria. Solange der Eingriff nicht perfektioniert wird, solange er nicht sicher für unter Achtzehnjährige ist, werden wir nie vollkommen vor der Krankheit gefeit sein. Sie bewegt sich immer noch mit unsichtbaren, suchend ausgestreckten Tentakeln unter uns und nimmt uns in ihren Würgegriff. Ich habe unzählige Ungeheilte gesehen, die zu ihrem Eingriff gezerrt wurden, gequält und gezeichnet von der Liebe. Sie hätten sich lieber die Augen ausgekratzt oder versucht, sich an den Stacheldrahtzäunen um die Labors herum aufzuspießen, anstatt sich von ihr loszusagen.
    Vor einigen Jahren gelang es einem Mädchen am Tag des Eingriffs, aufs Dach des Laboratoriums zu klettern. Sie fiel schnell, ohne einen Schrei. Noch Tage später brachten sie das Gesicht des toten Mädchens in den Nachrichten, um uns an die Gefahren der Deliria zu erinnern. Ihre Augen waren offen und ihr Hals unnatürlich verrenkt, aber so, wie ihre Wange auf dem Asphalt ruhte, hätte man meinen können, sie habe sich hingelegt, um ein Nickerchen zu halten. Es war überraschend wenig Blut zu sehen – nur ein kleines dunkles Rinnsal in ihren Mundwinkeln.
    Noch fünfundneunzig Tage, dann bin ich immun. Natürlich bin ich aufgeregt. Ich frage mich, ob der Eingriff wohl wehtun wird. Ich will es hinter mich bringen. Es ist nicht leicht, geduldig zu sein. Es ist nicht leicht, keine Angst zu haben, solange ich noch nicht geheilt bin, obwohl ich bisher nicht von der Deliria befallen worden bin.
    Trotzdem mache ich mir Sorgen. Es heißt, die Liebe habe die Leute früher in den Wahnsinn getrieben. Das ist schon schlimm genug. Das Buch Psst berichtet aber auch von Menschen, die gestorben sind, weil sie die Liebe verloren oder nie gefunden haben. Und das macht mir am meisten Angst.
    Die gefährlichste aller Krankheiten. Sie endet auf jeden Fall tödlich, ob man sie hat oder nicht.

zwei
    Wir müssen ständig auf der Hut vor der Krankheit sein;
    die Gesundheit unserer Nation, unseres Volkes, unserer Familien und
    unseres Geistes hängt von ständiger Wachsamkeit ab.
    »Wesentliche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz«,
Das Buch Psst
    D er Geruch nach Orangen erinnert mich immer an Beerdigungen. Am Morgen meiner Evaluierung wache ich von genau diesem Geruch auf. Ich werfe einen Blick auf den Wecker, der auf dem Nachttisch steht. Es ist sechs Uhr.
    Das Licht ist noch grau, die Sonne dringt nur langsam in das Zimmer, das ich mir mit den beiden Töchtern meiner Cousine teile. Grace, die jüngere, kauert bereits angezogen auf ihrem Bett und beobachtet mich. Sie hält eine ganze Orange in der Hand und versucht mit ihren kleinen Kinderzähnen hineinzubeißen wie in einen Apfel. Mein Magen zieht sich zusammen und ich schließe die Augen, um die Erinnerung an das warme, kratzige Kleid zu vertreiben, das ich anziehen musste, als meine Mutter gestorben war; die Erinnerung an die murmelnden Stimmen, eine große, raue Hand, die mir ein Stück Orange nach dem anderen reichte, damit ich daran sog und still war. Während der Beerdigung aß ich vier Orangen, Stück für Stück, und als nur noch ein Haufen Schalen auf meinem Schoß übrig war, begann ich an ihnen zu saugen. Der bittere Geschmack half mir, die Tränen zurückzuhalten.
    Ich schlage die Augen auf und Grace beugt sich vor, die Orange in der ausgestreckten Handfläche.
    »Nein, Gracie.« Ich schiebe die Decke weg und stehe auf. Mein Magen ballt sich zusammen wie eine Faust und entspannt sich wieder. »Und die Schale kann man übrigens nicht mitessen.«
    Sie blinzelt weiterhin mit ihren großen grauen
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