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Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)

Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)

Titel: Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)
Autoren: Robin Gold
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Leben verfügte. Die eine war ihr absolutes Gehör und die andere ihre Fähigkeit, das Gewicht eines beliebigen Objekts ohne irgendein Hilfsmittel genau schätzen zu können. Letztere hatte ihr auf dem Jahrmarkt von Libertyville den Spitznamen »Die menschliche Waage« eingebracht und ihr die Möglichkeit gegeben, drei Sommer hintereinander zu glänzen. Dieses ungewöhnliche Talent war ihr aber auch im Supermarkt recht nützlich. Libby wusste genau, wie ein Pfund Kirschen aussah und sich anfühlte, und als ihre Kinder noch klein waren, hatte sie aus dem Einkaufen oft ein spaßiges Spiel gemacht. Wenn es ihren Kindern gelang, sie des Irrtums zu überführen, durften sie sich als Preis süße Frühstücksflocken aussuchen (eine überragende Belohnung für ein Mädchen wie Clara, das ganz verrückt nach gefriergetrockneten Marshmallows war und dessen persönliche Lieblingshelden der Kellog’s-Smacks-Frosch und der Frosties-Tiger waren). Clara und Leo gaben Libby das, was sie für ein Pfund Erbsen hielten, sie streckte die Tüte in die Luft, schätzte und nahm dann so viele Erbsen heraus oder legte Stück für Stück so viele hinzu, wie nötig waren. Sie machte aus der ganzen Sache ein Riesenspektakel und ließ die beiden dann zur Waage in die Obstabteilung rennen, wo sie die Tüte wiegen und prüfen sollten, ob sie recht hatte. Sie hatte immer recht. An Claras neuntem Geburtstag gab sie eine Übernachtungsparty für ihre Freunde, und obwohl Ziggy der Zauberer engagiert worden war, um die Gäste zu begeistern, war »Die menschliche Waage« bei den Kindern ein viel größerer Erfolg. Sie jauchzten vor Freude, wenn Libby sie hochhob und das Gewicht eines jeden bis aufs Gramm genau schätzte.
    Clara erkannte den alten konzentrierten Glanz in den schokoladenbraunen Augen ihrer Mutter. Sie wusste genau, was als Nächstes kommen würde, und rückte langsam Zentimeter um Zentimeter von Libby ab. » Nein …«, warnte sie und wehrte Libby mit beiden Händen ab. »Ich bin gerade angekommen und echt nicht in der Stimmung für Spielchen.«
    Libby schob sich das kinnlange schwarze Haar mit den weißen Strähnen hinters Ohr und machte einen kleinen Schritt auf ihre Tochter zu.
    »Im Ernst … Hör auf mit dem Quatsch«, flehte Clara.
    Libby machte einen weiteren entschlossenen Schritt nach vorn.
    »Ich habe nein gesagt!« Plötzlich schoss Clara in Leos Richtung davon. Sie hatte eigentlich vorgehabt, ihren kräftigen, eins siebenundachtzig großen Bruder als Schutzschild zu benutzen, aber ihre flinke Mutter, die bereits in vollen Galopp verfallen war, war ihr zu dicht auf den Fersen, als dass sie ihr anvisiertes Ziel noch hätte erreichen können. Also war sie gezwungen, herumzuwirbeln und in die entgegengesetzte Richtung davonzulaufen.
    »Nicht rennen! Der Boden ist frisch gebohnert! Du fällst noch hin, verdammt!« Libby jagte Clara durch den geschmackvoll eingerichteten Eingangsbereich.
    »Und da wunderst du dich, dass es mich Überwindung gekostet hat reinzukommen?!«, schnauzte Clara im Rennen Leo an.
    »Stehen bleiben hab ich gesagt! Hörst du nicht?« Libby hatte beide Arme nach vorne ausgestreckt.
    » Hilfe! «, flehte Clara ihren Bruder an und wäre beinahe über ein Paar von Libbys Winterstiefeln gestolpert.
    Als Clara mit rudernden Armen versuchte, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen, nutzte »Die menschliche Waage« den Moment, hechtete vor, packte sie an der Taille und hob sie hoch, sodass sie sich Bauch an Bauch anschauten. Claras Füße baumelten einige Zentimeter über dem Boden, der, wie ihr nun auffiel, wirklich ziemlich glänzte.
    »Jep. Genau wie ich’s mir gedacht habe«, sagte Libby schnaufend und rang nach Atem. »Zweiundfünfzig Kilo.«
    Leo schüttelte verblüfft den Kopf. »Du gehörst wirklich in ein großes oranges Jahrmarktszelt, neben die bärtige Dame und den Froschjungen«, sagte er staunend. » Un glaublich …«
    Libby setzte Clara behutsam ab, blickte ihr dabei in die müden Augen und lächelte traurig. Obwohl Leo nur eine Armlänge von ihnen entfernt stand, hatte Clara das Gefühl, als gäbe es in diesem kurzen Moment, den man schon durch ein flüchtiges Blinzeln verpasst hätte, niemanden auf der Welt als sie beide, und irgendwie war ihre Mutter in der Lage, direkt in sie hineinzublicken und ihren Schmerz zu spüren.
    Dann, ohne ihren eindringlichen Blick von ihr abzuwenden, legte Libby ihre Hand an Claras Wange, auf dieselbe zärtliche Weise, wie sie es auch getan hatte, als Clara noch ein
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