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Die Liebenden von Sotschi

Die Liebenden von Sotschi

Titel: Die Liebenden von Sotschi
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gesehen habe. Neunmal habe ich einen Reiseantrag gestellt – immer abgelehnt. Man sagt, ich wisse zuviel über die Planungen der sowjetischen Wasserwirtschaft. Das ist Dummheit, denn wo wir Staudämme bauen, weiß die ganze Welt. Auch, wo wir Flüsse regulieren. Ich möchte gern Ihr Land sehen, Irina. Es muß schön sein.«
    »Das ist es. Aber es hat kein Sotschi.«
    »Aber es hat einen bayerischen See, an dem Sie wohnen.«
    »Von diesem See hatten Sie bis heute keine Ahnung.« Ihre Stimme klang spröde, abwehrend. Bubrow sah sie von der Seite an und bewunderte ihr Profil, die rötlichbraunen Haare, die bis auf die Schultern fielen, die Linien ihres Körpers. Dann blickte er weg und nickte.
    »Das stimmt. Aber nun ist Deutschland für mich noch mehr als bisher ein Land der Sehnsucht.«
    In Sotschi stieg er an der Haltestelle des Hotels ›Intourist‹ aus, um einen Bus zum Sanatorium ›Sarja‹ zu nehmen. Ganz vorsichtig trat er mit dem linken Bein auf, man sah, daß es ihm große Schmerzen bereitete, aber sein Lächeln blieb. Er gab sich sehr tapfer.
    »Sie kommen heute ins ›Magnolia‹?« fragte er und hielt Irenes Hand fest.
    »Meine Versprechungen halte ich, Boris.«
    »Ich werde meinen Fuß in einen Eiskübel stecken.«
    »Wahrscheinlicher ist, daß die Ärzte im Sanatorium Sie gar nicht hinauslassen.«
    »Da kennen Sie Bubrow nicht! Ich werde mich aus dem Fenster abseilen.«
    Er winkte ihr nach, als der Bus weiterfuhr, der Wind riß an seinen blonden Haaren und beulte seine Hosenbeine aus.
    Ein netter Kerl, dachte Irene Walther. So ganz anders, als wir uns im Westen einen Russen vorstellen. Wie schief sind oft die Bilder, mit denen wir leben und an deren Wahrheit wir glauben.
    Sie lehnte sich zurück, vernahm nur wie eine ferne Geräuschkulisse die Witze des Dicken und schloß die Augen, um sich noch mehr vor ihrer Umwelt abzuriegeln.
    Und plötzlich erschrak sie. Allein mit sich, war sie nicht mehr allein … Boris Alexandrowitsch Bubrow war um sie, sein Lachen, seine grauen Augen, die wehenden blonden Haare, sein jungenhaftes Benehmen. Ein Mensch, der ungebeten in ihre gewollte Einsamkeit getreten war.
    Um ihn zu verjagen, öffnete sie wieder die Augen und blickte hinaus auf die von wellenbrechenden Buhnen geschützte Küste, auf den leuchtenden Strand mit seinen Liegestühlen und bunten Sonnenschirmen, auf die Palmenhaine und die durch das tiefblaue Wasser gleitenden weißen Boote. Es war eine zauberhafte Landschaft, gegen rauhe Winde durch das Massiv des Westkaukasus geschützt, ein einziger blühender Garten, der sich allein im Gebiet von Sotschi über 145 km an der Schwarzmeerküste entlangzieht. Ein reiches, schönes Land mit freundlichen, fröhlichen Menschen, die sich nicht allzu gern Russen nennen lassen; sie wollen Kaukasier sein.
    Nachdem der Bus den Dicken aus Oberhausen vor einem Hotel ausgeladen hatte, kehrte er zum Hotel ›Shemtschushina‹ zurück. An der riesigen, mit Marmor verkleideten Eingangshalle überreichte ihr der Portier einen Brief. Irene Walther zerriß ihn, nach einem Blick auf den Absender, ungelesen und warf ihn in einen Abfallkorb. Der Portier lächelte höflich, gab ihr den Zimmerschlüssel und sagte in hartem Deutsch: »Hat Ihnen gefallen Tee-Plantage?«
    »Sehr schön. Danke.« Sie nahm den Schlüssel und fuhr mit dem Lift in das elfte Stockwerk zu ihrem Zimmer. Sie legte sich auf dem Balkon in den Liegestuhl, warf den Kopf weit zurück und starrte in den bleichblauen Himmel. Ich gehe nicht ins ›Magnolia‹, sagte sie zu sich. Nein! Ich gehe nicht hin. Ich will nicht mehr. Ein gebranntes Kind läuft vor dem Feuer davon. Was soll ein Bubrow in meinen Gedanken? Ich bin hierher gekommen, um zu vergessen, nicht um einen Hanns gegen einen Boris einzutauschen.
    Hanns Heroldt. Der Brief war von ihm. Woher wußte er, daß sie in Sotschi war? Viel zu weit weg, um noch einmal miteinander zu sprechen, auch telefonisch nicht. Sie blickte über das in der Sonne blinkende Meer und genoß die Ruhe, die sie bei diesem Anblick überkam. Wo Himmel und Meer zusammenstießen, flimmerte eine goldene Linie.
    Sein Lachen ist wohltuend, dachte sie. Er ist völlig anders als Hanns. Unkompliziert und offen, man hört und sieht sein Herz. Man blickt in seine Augen und weiß, was Ehrlichkeit ist.
    Boris Alexandrowitsch Bubrow … Auch Himmel und Meer verjagten ihn nicht mehr.
    Sie sprang auf, ging ins Zimmer und stellte sich vor den Spiegel. Sie betrachtete sich lange. Dann schüttelte sie den
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