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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau
Autoren: Alice Munro
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sagten nichts weiter, bis sie den Highway erreichten. Sobald Eve auf ihm fuhr, sagte sie: »Das ist er.«
    »Wohin fahren Sie jetzt?«
    »Nach Norden«, sagte Eve.
    »Wohnen Sie da?« »Ich fahre in den Ort. Ich muss tanken.«
    »Sie haben noch Benzin«, sagte das Mädchen. »Der Tank ist mehr als halb voll.«
    Das war dumm. Eve hätte einkaufen sagen sollen.
    Neben ihr stieß das Mädchen einen langen Seufzer der Entscheidung, vielleicht der Aufgabe aus.
    »Wissen Sie«, sagte sie, »wissen Sie, ich kann auch hier aussteigen, wenn ich trampen will. Hier find ich genauso leicht was zum Mitfahren wie anderswo.«
    Eve hielt auf dem Randstreifen. Erleichterung verwandelte sich in so etwas wie Scham. Wahrscheinlich stimmte es, dass das Mädchen weggelaufen war, ohne Geld mitzunehmen, dass sie nichts hatte. Wie war es, betrunken, angeschlagen, ohne Geld an der Straße zu stehen?
    »Wohin wollen Sie noch mal?«
    »Nach Norden«, antwortete Eve ihr wieder.
    »Wo lang geht’s noch mal nach Sarnia?«
    »Nach Süden. Sie brauchen nur die Straße zu überqueren, dann fahren die Autos nach Süden. Passen Sie auf den Verkehr auf.«
    »Klar«, sagte das Mädchen. Ihre Stimme klang schon fern; sie rechnete sich neue Chancen aus. Sie war schon halb ausgestiegen, als sie sagte: »Bis dann.« Und zum Rücksitz: »Bis dann, Jungs. Seid brav.«
    »Warten Sie«, sagte Eve. Sie beugte sich vor, tastete in ihrer Handtasche nach ihrem Portemonnaie und holte einen Zwanzigdollarschein heraus. Sie stieg aus dem Auto und ging zu dem wartenden Mädchen herum. »Hier«, sagte sie. »Das wird Ihnen helfen.«
    »Ja. Danke«, sagte das Mädchen und stopfte den Schein in die Tasche, den Blick auf die Straße gerichtet.
    »Hören Sie«, sagte Eve. »Für den Fall, dass Sie nicht wissen, wohin, sage ich Ihnen, wo mein Haus ist. Es ist ungefähr drei Kilometer nördlich vom Ort, und der Ort ist ungefähr einen Kilometer nördlich von hier. Nördlich. Hier lang. Jetzt ist meine Familie da, aber bis zum Abend müsste sie weg sein, falls Sie das stört. Auf meinem Briefkasten steht der Name Ford. Das ist nicht mein Name, ich weiß nicht, warum er da steht. Das Haus steht völlig frei mitten in einem Feld. Es hat ein normales Fenster auf der einen Seite von der Haustür und ein komisches kleines auf der anderen. Da ist das Badezimmer eingebaut worden.«
    »Ja«, sagte das Mädchen.
    »Ich dachte nur, falls Sie keine Mitfahrgelegenheit kriegen –«
    »Gut«, sagte das Mädchen. »Alles klar.«
    Als sie wieder fuhren, sagte Philip: »Igitt. Die stank nach Kotze.«
    Ein bisschen später sagte er: »Die wusste nicht mal, dass sie für die Himmelsrichtung zur Sonne kucken muss. Die war doof. Nicht?«
    »Ich glaub schon«, sagte Eve.
    »Igitt. Ich hab noch nie jemand gesehen, der so doof ist.«
    Als sie durch den Ort fuhren, fragte er, ob sie für Eistüten halten konnten. Eve sagte nein.
    »Es halten so viele Leute für ein Eis, dass es schwer ist, einen Parkplatz zu finden«, sagte sie. »Außerdem haben wir genug Eis zu Hause.«
    »Du sollst nicht ›zu Hause‹ sagen«, sagte Philip. »Wir sind da nur kurz. Du sollst ›im Haus‹ sagen.«
    Die großen Heurollen auf einem Feld östlich vom Highway lagen mit der runden Seite zur Sonne, so fest gestopft, dass sie aussahen wie Schilde oder Gongs oder aztekische Metallgesichter. Dahinter lag ein Feld mit blassen, weichen goldenen Borsten oder Federn.
    »Das heißt Gerste, das goldene Getreide mit den langen Borsten«, sagte sie zu Philip.
    Er sagte: »Ich weiß.«
    »Die Borsten werden manchmal Grannen genannt.« Sie fing an aufzusagen: »›Aber Schnitter, früh am Werke, in der grannenborstgen Gerste –‹«
    Daisy fragte: »Was heißt ›Werste‹?«
    Philip sagte: »Ger-ste.«
    »›Nur die Schnitter, früh am Werke‹«, sagte Eve und versuchte, sich zu erinnern. »›Einzig Schnitter, früh am Werke –‹« »Einzig« klang am besten. Einzig Schnitter.
     
    Sophie und Ian hatten bei einem Stand an der Straße Mais gekauft. Zum Abendbrot. Die Pläne hatten sich geändert – sie fuhren erst am nächsten Morgen ab. Und sie hatten eine Flasche Gin gekauft und Tonic und Limonen. Ian mixte die Drinks, während Eve und Sophie die Hüllblätter von den Kolben entfernten. Eve sagte: »Zwei Dutzend. Das ist Wahnsinn.«
    »Wart’s mal ab«, sagte Sophie. »Ian liebt Mais.«
    Ian verbeugte sich, als er Eve ihr Glas kredenzte, und nachdem sie gekostet hatte, sagte sie: »Schmeckt himmlisch.«
    Ian war ganz
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