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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau
Autoren: Alice Munro
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holte zwei Kästen Bier heraus. »Ich musste nur eben in die Stadt, Harold hat mich in die Stadt geschickt. Gehn Sie vor. Gehn Sie rein. Harold wird sich freuen.«
    »Hierher, Trixie«, sagte Philip streng.
    Der Hund kam und umsprang sie jaulend, Daisy quiekte vor Angst und Vergnügen, und irgendwie waren sie alle auf dem Weg zum Haus, Eve mit Daisy auf dem Arm, während Philip und Trixie mehrere Erdbuckel hinaufwuselten, die einmal Stufen gewesen waren. Der Mann kam dicht hinter ihnen, er roch nach Bier, das er während der Fahrt getrunken haben musste.
    »Machen Sie auf, gehn Sie rein«, sagte er. »Gehn Sie irgendwie durch. Macht Ihnen doch nichts aus, dass es hier ein bisschen unordentlich geworden ist? Mary ist im Heim, keiner mehr da, um Ordnung zu halten wie früher.«
    Das aufgetürmte Tohuwabohu, durch das sie sich einen Weg bahnen mussten, hatte ein Ausmaß, das zu seiner Entstehung Jahre benötigt. Die unterste Schicht bestand aus Stühlen und Tischen und Sofas und vielleicht ein oder zwei Öfen, darauf stapelten sich alte Bettdecken und Zeitungen und Rouleaus und tote Topfpflanzen und Holzreste und leere Flaschen und zerbrochene Lampen und Vorhangstangen, ragten an manchen Stellen bis zur Decke und sperrten nahezu alles Tageslicht aus. Um das wettzumachen, brannte eine Birne neben einer Zimmertür.
    Der Mann setzte einen Bierkasten ab und machte die Tür auf und rief nach Harold. Es ließ sich schwer sagen, in welchem Zimmer sie sich jetzt befanden – es waren Küchenschränke da, denen die Türen fehlten, auf den Borden verloren sich ein paar Konservendosen, aber es standen auch zwei Pritschen mit kahlen Matratzen und zerwühlten Decken da. Die Fenster wurden so erfolgreich von Möbelstücken oder davorgehängten Tüchern verhüllt, dass sich nicht sagen ließ, wo sie waren, und es stank nach Trödel, nach verstopftem Ausguss oder auch nach verstopftem Klo, nach Essen und Bratfett und Zigaretten und Männerschweiß und Hundekot und verrottenden Küchenabfällen.
    Niemand beantwortete die Rufe. Eve drehte sich um – hier war, im Gegensatz zur Diele, Platz dafür – und sagte: »Eigentlich sollten wir –«, aber Trixie kam ihr in den Weg, und der Mann drückte sich an ihr vorbei, um an eine weitere Tür zu hämmern.
    »Da ist er«, sagte er – immer noch mit Stentorstimme, obwohl die Tür aufgegangen war. »Hier drin ist Harold.« Gleichzeitig stürzte Trixie vor, und ein anderer Mann sagte: »Verdammt. Schaff den Hund hier raus.«
    »Die Dame hier will irgendwelche Bilder sehen«, sagte der kleine Mann. Trixie jaulte vor Schmerz auf – jemand hatte sie getreten. Eve blieb nichts anderes übrig, als in das Zimmer zu gehen.
    Es war ein Esszimmer. Der schwere alte Esstisch und die soliden Stühle standen noch da. Drei Männer saßen am Tisch und spielten Karten. Der vierte Mann war aufgestanden, um den Hund zu treten. Die Temperatur in dem Zimmer betrug etwa zweiunddreißig Grad.
    »Tür zu, es zieht«, sagte einer der Männer am Tisch.
    Der kleine Mann zerrte Trixie unter dem Tisch hervor und warf sie ins vordere Zimmer, dann machte er hinter Eve und den Kindern die Tür zu.
    »Verdammte Scheiße«, sagte der Mann, der aufgestanden war. Seine Brust und seine Arme waren so von Tätowierungen bedeckt, dass er violette oder bläuliche Haut zu haben schien. Er schüttelte einen Fuß, als täte er weh. Vielleicht hatte er auch ein Tischbein getroffen, als er nach Trixie trat.
    Ein junger Mann mit spitzen, schmalen Schultern und zartem Hals saß mit dem Rücken zur Tür. Wenigstens hielt Eve ihn für jung, denn sein Haar war zu goldblond gefärbten Stacheln frisiert, und in den Ohren trug er goldene Ringe. Er drehte sich nicht um. Der Mann ihm gegenüber war so alt wie Eve und hatte einen kahlrasierten Schädel, einen gepflegten grauen Bart und blutunterlaufene blaue Augen. Er sah Eve ohne jede Freundlichkeit, aber doch mit einem gewissen Verständnis oder Begreifen an, und darin unterschied er sich von dem tätowierten Mann, der sie anstarrte, als wäre sie eine Art Halluzination, die man am besten ignorierte.
    An der Schmalseite des Tisches, auf dem Stuhl des Gastgebers oder des Hausvaters, saß der Mann, der »Tür zu« befohlen hatte, aber weder aufblickte noch sonst irgend auf die Unterbrechung reagierte. Ein grobknochiger, dicker, blasser Mann mit schweißnassen braunen Locken, und so weit Eve erkennen konnte, vollkommen nackt. Der tätowierte Mann und der blonde Mann hatten Jeans an, und der
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