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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd
Autoren: Lena Falkenhagen
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nicht wieder geächtet werden. »Ich hab’s nicht vergessen«, meinte sie ernüchtert. »Ich werde deine Worte beherzigen.« Thomas kam wieder herüber und zog sie am Rock. Doch Luzinde wollte nicht spielen. Der kleine Bube zuppelte und nörgelte aber weiter, bis ihr der Geduldsfaden riss. »Lass das!«, zischte sie. Sein Gesicht verzog sich zu weinerlichem Schrecken.
    »Oh nein, bitte nicht«, stieß Luzinde aus. »Ich wollte dich nicht anfahren, wirklich nicht.«
    »Ich wollte auch nicht über dich lachen«, sagte die rundliche Magd. »Bitte vergib mir. Du hast damals sicher gehofft, dass Volckerts Absichten ehrlich sind.«
    Doch Luzinde dachte weniger an Volckert oder an Trautmann, sondern an den Burschen, dem sie als Erstes ihr Herz geschenkt hatte. Und sie wünschte, sie hätte damals schon eine
so gute Freundin gehabt. »Ist schon gut, Anna.« Thomas begann zu weinen, und Luzinde sah die Magd fragend an. »Was mache ich denn jetzt nur mit dem Jungen?«
    »Lenk ihn mit was Schönem ab oder versohl ihm den Hintern. Ansonsten plärrt er den ganzen Nachmittag.«
    Luzinde sah sich um. »Thomas, schau, da vorne bei den Büschen ist ein prächtiger roter Kiesel. Willst du den nicht auch auf dein Boot setzen? Da drüben!« Thomas folgte ihrem Zeigefinger mit neugierigem Blick. Noch schniefend hüpfte er über seine protestierende Mutter hinweg und bückte sich beim Weidenbusch nach dem Kiesel.
    Plötzlich wackelten die Zweige des Busches, als wäre Leben in sie gefahren. Anna fuhr erschrocken auf und schnellte wie eine Katze hoch. Dann rannte sie zu ihrem Kind. Doch sie war zu langsam! Bevor sie Thomas erreicht hatte, sprang ein grober Kerl wankend zwischen die beiden und griff nach ihr. Der Fremde riss Anna am Riemen des Umhängebeutels zu sich heran, sah sich wild um und zischte: »Nicht schreien!« Anna nickte nur, am ganzen Leib schlotternd. »Du da!«, knurrte der Mann und deutete auf Luzinde, die ebenfalls aufgesprungen war und stocksteif vor Schrecken am Ufer stand. »Hast du Fisch?« Sie hatte kaum genickt, da fuhr er sie an: »Mach den Korb auf!«
    Luzinde scherte sich dieses Mal nicht darum, ihren Rock in den Gürtel zu stopfen. Sie watete wie befohlen ins Wasser. Ihre Finger zitterten, als sie das Band wieder aufknotete, das den Deckel des Fischkorbes hielt. Sie hoffte, dass Anna nicht die Nerven verlor. »Du willst etwas zu essen?«, fragte sie bebend und musterte ihn kurz. Das lange graue Haar war von Zweigen und Kletten durchsetzt, die Beinkleider und das helle Hemd aus gutem Stoff hingen ihm in Fetzen vom Körper, die Lederschuhe wirkten dunkel vor Feuchtigkeit. Der Mann trug einen
ergrauten langen Kinnbart, der an eine Ziege erinnerte. »Nimm so viel du willst, Mann! Doch geh schnell! Die Männer sind drüben beim Waldesrand. Ein Ruf, und sie kehren zurück!«
    Diese Drohung versetzte dem Kerl offenbar den erhofften Schrecken. Er sah sich um und zerrte an dem Beutelriemen, den Anna am Leibe trug. Damit war es um deren Tapferkeit geschehen. »Nein! Nicht! Ich bitt Euch, Herr, tut mir nichts!« Gleichzeitig ließ Thomas den Kiesel fallen, warf sich von hinten auf den Mann und trommelte mit kleinen Fäusten auf ihn ein. »Lass die Mutter in Ruh! Lass sie in Ruh!«
    Das hatte Luzinde nicht gewollt. Wenn der Bursche fiel und sich etwas brach … Mit großen Schritten watete die Magd aus dem Wasser und sprang auf die ringende Gruppe zu, um Thomas von dem Mann herunterzuziehen. Kaum griff sie nach dem Jungen, sauste etwas auf ihr Gesicht zu.
    Helle Lichter explodierten vor ihrem inneren Auge – ein Schlag hatte sie an der Wange erwischt und schleuderte sie nach hinten. Das Wasser des seichten Ufers schloss sich über ihr, während sie noch nach Luft rang. Vor ihren Augen tanzten helle Flecken. Wo war oben, wo unten? Wo das Ufer, wo die Weite des Fischteichs? Einen kurzen Augenblick lang wähnte Luzinde sich schwerelos im dunklen Nichts. Sie hörte das Schreien eines Neugeborenen, in das sich das Weinen der Mutter mischte, sah das Funkeln eines Amuletts. Sie öffnete den Mund. Sie wollte schreien, doch sie schluckte nur Wasser. Sie schlug um sich, griff nach Halt, doch sie fand keinen. Dann endlich tauchte sie wieder auf und hustete so hart, dass der Kopf schmerzte.
    Als Luzinde sich keuchend wieder ans Ufer gezogen hatte, war der Fremde fort. Was war geschehen? Anna hockte auf dem Boden, barg Thomas schützend in den Armen und wiegte ihn vor und zurück. Der kleine Körper regte sich nicht.

    »Anna?«,
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