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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd
Autoren: Lena Falkenhagen
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den Riegel zurück. Der Sturm riss ihr die Tür aus der Hand.
    »Vater!«, rief Luzinde der Bö entgegen, doch draußen war niemand. »Frau Stoll!«, schrie sie in die Nacht hinaus. Die Wolken rasten über den Himmel und verbargen den Mond. Die Bäume um die Hütte herum wirkten wie eine undurchdringliche schwarze Wand.
    Luzinde scherte sich nicht darum, sondern wankte hinaus. Sie wusste nicht, wohin ihre nackten Füße sie trugen. Sie sah nur das kleine Bündel vor sich, das die Amme in die Hand der Nonne gelegt hatte. Sie wollte nach Lindelberg, ins Haus des Vaters, wollte um sich schlagen, zetern und schreien, um nie wieder von ihrem Sohn getrennt zu werden.
    Als Luzinde nicht mehr gehen konnte, stolperte sie von Baum zu Baum. Als sie hinfiel, kroch sie weiter voran, bis Decke und Hemd sich voll Schlamm und Regen gesogen hatten. Sie sah nicht mehr, wohin sie kroch, noch, wie weit sie kam. Sie machte einfach weiter und kämpfte. Sie hatte in so vielen Dingen versagt. Sie war ihrem Vater keine gute Tochter gewesen, denn sie hatte sein Vertrauen enttäuscht und sein Haus mit Sünde befleckt. Sie war keine gute Christin gewesen, denn Pater Marcus hatte sie aus dem Hause Gottes gewiesen, als er von ihrem Zustand erfahren hatte. Dies Kind war alles, was ihr noch blieb. Seinetwegen hatte man sie verdammt.Wenn es fort wäre – was blieb dann noch von ihr?
    Irgendwann verließen Luzinde endgültig die Kräfte. Sie hörte kein Rauschen des Waldes mehr, fühlte den Regen nicht auf der Haut. Ihre Finger und Zehen waren längst taub vor Kälte,
und bunte Flecken standen ihr vor den Augen. Sie würde sie schließen. Nur kurz! Und dann würde sie weiterkriechen. Sie wusste, sie müsste kämpfen. Sie müsste weitermachen. Sonst bliebe ihr nichts mehr. Doch ihr Leib gehorchte nicht mehr.
    Als Luzinde die Augen schloss, fiel eine bleierne Schwere über ihre Gliedmaßen, als presse der Wind sie mit Gottes Gewalt auf den Boden.
    Morgen, dachte sie noch.
    Dann kam die Dunkelheit.

KAPITEL 1
    König Karl hat gesiegt«, verkündete Ulrich Gruntherr außer Atem, als er in die Stube auf der Kaiserburg platzte. »Er hat gesiegt. Ludwig der Brandenburger ist zu Kreuze gekrochen.« Zu Nürnberg gab es im späten Juni des Jahres 1349 keine Nachricht, die größeres Entsetzen hätte auslösen können.
    »Ich weiß«, knurrte Ulrich Stromer, genannt Hosto. »Der alte Kaiser Ludwig hat sich nicht einmal Päpsten unterworfen! Wenn der wüsste, dass sein Sohn eine Memme ist, er würde sich im Grabe umdrehen!« Er schritt in der leeren Kammer auf und ab, in der nur ein wuchtiges verhängtes Bett auf einem Podest stand. Gewöhnlich liebte Hosto die Sicht auf Nürnberg hinunter, die sich ihm von hier aus auftat. Die Dächer lagen in Frieden und Eintracht in der Umarmung der Stadtmauer – ein Anblick, der den Betrachter leicht vergessen lassen konnte, was für ein Hauen und Stechen um die Macht dort unten herrschte. Doch heute gab es für Hosto kein Vergessen. Heute gärte es in dem hochgewachsenen blonden Mann so sehr wie in der Stadt, die auf ihrem Kurs zwischen zwei Königen ins Schlingern geraten war. Es war schlimm genug, wie es war. Ein falsches Zeichen, und Nürnberg würde für immer in der Bedeutungslosigkeit versinken.
    »Kaiser Ludwig, Gott hab ihn selig, hat sich nicht einmal um den Kirchenbann gekümmert. Und sein ältester Sohn streicht vor Karl von Böhmen die Fahne? Eine Schande!«
    Hosto selbst war wie Ulrich Gruntherr Ratsherr des sogenannten aufständischen Rates von Nürnberg. Man hatte sich
gegen König Karl erhoben und dessen Brandenburger Feinde in die Stadt gelassen. Und genau dieser Aufstand würde die Stadt nun vielleicht teuer zu stehen kommen, jetzt, da Ludwigs Kapitulation König Karl, den römisch-deutschen König und König von Böhmen, zum unangefochtenen Herrscher im Reich gemacht hatte.
    Die furchtbare Nachricht, die Hosto vor kaum einer Stunde aus Frankfurt erreicht hatte, erfüllte ihn mit dem unbezwingbaren Drang zu laufen. Am liebsten wollte er rennen, hinaus in den Wald, und sich die Wut aus dem Leibe schreien. Doch er bezähmte seine Wut. Wenn er die Beherrschung verlor, wer wäre dann da, um den Nürnberger Karren aus dem Dreck zu ziehen? Der Rat brauchte einen Ausweg. Und so begnügte sich Hosto Stromer damit, mit weiten Schritten die beiden leeren Säle der Nürnberger Kaiserburg zu durchmessen, den Burghof hinunter in die Vorburg zu schreiten, bis ganz hin zum SinwellTurm, dem höchsten Gemäuer, das
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