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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd
Autoren: Lena Falkenhagen
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Friedhof des Spitals an der Mauer wieder. Luzinde war bislang nicht unter den Toten. Er wusste nicht, ob er froh oder wütend darüber sein sollte.
    Als links von ihm ein Schrei ertönte, brach seine Stute nach rechts aus und machte ein paar Sätze den breitenWeg hinunter, der zur östlichen Stadtmauer führte. Es brauchte eine harte Hand und gutes Zureden, um das Tier wieder zu beruhigen.
    Eine Frau huschte vor ihm über die Straße, erblickte ihn und erschrak. Einen kurzen Augenblick sahen sie einander an, und Ulman erkannte die Jüdin aus Gottschalks Haus wieder, die einen Jungen vor dem Bauch trug. Der kurze Augenblick des Erkennens verging, und die Frau rannte weiter, in einen Unterstand mit Schmiedegerät und Blasebalg hinein.
    Nur wenige Momente später brach eine Horde von mehr als einem halben Dutzend Männern, mit Forken und Fackeln bewehrt, aus derselben Gasse und hielt inne. »Herr Stromer!«, sagte einer von ihnen keuchend. »Wo ist das Judenweib hin?«
    »Dort«, er deutete auf die Gasse gegenüber jener, aus der die Männer gekommen waren. »Es sah aus, als wolle sie an der Mauer entlang zum Laufer Tor.«
    »Danke, Herr!«, rief der Kerl, und die Meute rannte weiter.
    Ulman aber stieg vom Pferd und leitete es zu dem Unterstand. »Sie sind weg, Frau Rebekka.«
    Trotz der Kälte stand die Frau im Schweiß. Sie erhob sich aus ihrem Versteck hinter der Esse. »Warum habt Ihr des getan, Her?«, fragte sie misstrauisch. »Ihr hettet ihnen blos etwas sagen missen.«
    »Und was bringt mir das?«, fragte Ulman. »Nein, ich brauche
dich lebend.« Er band das Pferd an einen Balken. »Es sind wenig Juden in der Stadt. Wo sind die Flüchtigen hin?«
    Rebekka wurde blass. Sie schlang die Arme schützend um den Buben, den sie vor dem Bauch trug. »Des … des weiß ich nit. Se haben es nit gesagt, se sind -«
    »Das müssen mehrere Hunderte Leute gewesen sein, Rebekka. Du willst nicht wirklich behaupten, dass niemand etwas bemerkt oder gewusst hat, oder?«, fragte Ulman leise. »Lüg mich nicht an. Sonst rufe ich die Meute herbei, die sich nach dir die Finger leckt, und werfe ihr deinen Sohn zum Fraß vor!«
    »Nein, ich bitt Euch«, bat Rebekka den Tränen nah. »Tut des nit. Se sind weg – durch die Felsengenge. Se haben de Wagen schon gestern Nacht vor des Laufer Tor gefaren und sind dann weg.«
    Die Felsengänge. Nürnberg stand auf einem weichen Felsen aus Sandstein, der so löchrig wie ein Stück Käse sein musste. Es gab je Fluchtgänge aus Kaiserburg und Rathaus, die jenseits der Mauern endeten. Warum also nicht auch aus den Judenhäusern?
    »Wie viele?«, fragte er düster.
    »Mehr als finf Hundert, Her!«
    »Das sind viele.« Was für ein Meisterstück, so viele Menschen unter ihren Augen aus der Stadt zu schaffen! »Und Luzinde? Sprich, Weib, wo ist sie hin?«
    Die Frau verstummte und starrte ihn trotzig an. Offenbar wurden die Gefühle, die Luzinde für diese Familie hegte, erwidert. »Rede, Rebekka!«, zischte er ungeduldig.
    Sie sah ihn an und schwieg. Da tat Ulman einen Schritt vor. Sie versuchte, zurückzuweichen, doch sie saß zwischen der Wand und der Esse in der Falle. Er trat ganz nahe vor sie hin und legte dem Jungen eine Hand um den Hals. »Sprich, Weib.
Wo ist Luzinde?« Er drückte langsam zu, so dass der Bube vor Schreck zu wimmern begann. Der Laut brach den Widerstand der Mutter sofort.
    »Se wollte jemanden finden. Ein Kind. Ich weis nit fil davon. Se sagte was von einer Elisabeth. Der Ritter hat gesagt, er wird se dort schon zum Reden bringen. Ich wusste nit genau, was se meinten!«
    Ulman aber verstand. Es gab nur einen Ort, an dem Luzinde nach ihrem Kind suchen würde, und er kannte ihn genau. Offenbar war Luzinde letzten Endes doch darauf gekommen, dass seine Tante Elisabeth jene Nonne gewesen war, die ihr damals das Kind weggenommen hatte.
    Er sah auf die Jüdin herab.Was sollte er nun mit ihr machen? Sollte er sie zum Scheiterhaufen vor die Stadt bringen, wo die anderen Juden hingeschleppt wurden? Er sah in das blasse Gesicht des Jungen. Jakob war sein Name. Er zeigte bereits jetzt eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem Großvater. Das Bild des alten Gottschalk, totgeprügelt auf der Straße liegend, kam ihm in den Sinn. Nein, er hatte keine Zeit für so etwas. Er nahm Rebekka beim Arm und zog sie trotz ihrer Gegenwehr auf die Straße.
    »Hier,Weib, geh hier rein«, knurrte er und stieß die Tür der verwaisten Schmiede auf. »Das Haus steht leer. Niemand wird dich hier suchen. Sperr
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