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Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
Autoren: Silvana de Mari
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du wohl weitermachen, Morgentau?«, sagte die Köchin barsch. »Willst du etwa die Reiher verkohlen lassen? Was ist los? Bist du vielleicht wütend, weil du dein Schemelchen zum Blaubeerpflücken verloren hast? Los, vorwärts, rühr deine Hände. Arbeitsscheu seid ihr doch noch nie gewesen …«
    Sofort schlug Morgentau die Augen nieder, ihr Blick war trübe und leer geworden, die Reiher drehten sich wieder. Rankstrail grübelte lang über diese Bemerkung mit dem Schemel und den Blaubeeren nach, ohne sie zu verstehen, doch dann dämmerte ihm, dass es sich um einen Witz über die Körpergröße der Gnomin handeln musste. Er wusste, dass der Abstand des Kopfes einer Person zum Boden Gegenstand für Witze sein konnte. Er, der für sein Alter zu groß war, wurde oft verspottet, weniger von den anderen Kindern als von deren Müttern, und das leuchtete ihm ein: Er war größer und damit stärker und Stärke macht häufig Angst. Nie aber wäre er auf die Idee gekommen, dass man so maßlos dumm sein könnte, sich über einen zu kleinen Abstand zum Boden lustig zu machen.
    »Ich dulde keine Unhöflichkeit«, wiederholte die Dame streng. Jedes Lächeln war aus ihrem Gesicht gewichen, es war jetzt finster. »Und noch weniger kann ich dulden, dass sie sich ungehindert in meinem Haushalt ausbreitet. Unhöflichkeit ist grausam und dumm zugleich. Ich dulde nicht, dass in den Gemächern meines Hauses von Gnomen gesprochen wird. Das Volk der Zwerge hat eine ruhmreiche Geschichte und mächtige Königreiche hervorgebracht. Auch wenn es jetzt in Knechtschaft lebt, gibt uns das kein Recht, seine einstige Größe und sein Leben zu verunglimpfen. Selbst in den Bergwerken oder beim Drehen unserer Geflügelspieße bleiben sie doch stets die Damen und Herren vom Volk der Zwerge.«
    Schweigen machte sich breit.
    Endlich verließ die Dame die Küche, nachdem sie sich mit einem Lächeln von Rankstrail und seiner Mutter verabschiedet hatte.
    Die Köchin drehte sich um und wandte sich wieder ihrer Zwiebelsuppe zu; sie brummte vor sich hin, Namen könne man ja vielleicht ändern, die Gnome Zwerge nennen und räudige Straßenköter Promenadenmischungen, aber Gnome blieben eben doch Gnome und Köter Köter. Durch Namensänderungen würde die Welt der Menschen auch nicht besser, und die der Hunde schon gar nicht.
    Mama legte wieder die Hand an die Wange und führte Rankstrail hinaus ans Licht, auf die Straßen der Zitadelle, die sauber waren wie die Häuser, voller Säulengänge, Bogenfenster und blühender Kletterpflanzen, die daran standen. Hoch oben auf den Mauern, die die herrlichen Gärten der Adelspaläste umschlossen, reckten jahrhundertealte Bäume stolz ihre Wipfel in die Höhe und spendeten den Straßen Schatten.
     
    Als sie auf der Straße waren, in Sicherheit vor den Blicken der Köchin, drehte sich seine Mama zu Rankstrail um und schloss ihn in die Arme.
    »Aber du kannst ja sprechen!«, flüsterte sie. »Kannst du sprechen?«, fragte sie in verändertem Tonfall.
    Rankstrail hatte nie darüber nachgedacht. Das war eine schwierige Frage. Tatsächlich, wenn er es jetzt bedachte, dann konnte er sprechen, und nicht einmal schlecht, alles in allem. Sprechen war eine Mühsal, die er stets gemieden hatte. Sein Vater und seine Mutter, die überzeugt waren, er könnte es nicht, hatten ihn immer so angeredet, dass er sich auf Nicken oder Kopfschütteln beschränken und ruhig in seinem Schweigen verharren konnte.
    »Es stimmt nicht, dass du nicht sprechen kannst. Es stimmt nicht, dass du … dass du … Du bist wie die anderen Kinder. Du bist wie die anderen … Mein Kind … Du bist mein Kind … Das Kind von mir und deinem Vater … Jetzt gehen wir heim und erzählen ihm, dass du sprechen kannst … Du bist wie die anderen … Du bist wie alle anderen …«
    Mama war glücklich. Sie strahlte. Ihre Augen strahlten. Ihr Lächeln strahlte. Der Mund öffnete sich leicht, und das war wunderschön, auch wenn das Lächeln auf einer Seite von dem roten, harten Fleisch des Brandmals gehemmt wurde. Seine Mama war wunderschön, wenn sie lächelte. Rankstrail hätte sich so sehr gewünscht, dass sie immer lächelte.
    Vereint in dieser Freude, machten sie sich auf den Weg. Sie durchquerten den Mittleren Bezirk zwischen dem ersten und dem zweiten Mauerring. Hier befanden sich die Läden der Wundheiler, der Goldschmiede und der Waffenschmiede, die für die Härte ihrer Harnische und die Schärfe ihrer Schwerter bis an die Grenzen der Bekannten Welt berühmt
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