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Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
Autoren: Silvana de Mari
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besonders gern mochte, denn wenn sie geröstet waren, hatte man das Gefühl, in Fleisch zu beißen, auch wenn da in Wirklichkeit kein Fleisch war.
    »Ich …«, brachte sie zögernd heraus, aber die Dame unterbrach sie, sie blieb vollkommen ruhig und Rankstrail war fasziniert. Bei ihm zu Hause und überall in seiner Umgebung schrien immer alle, auch wenn sie bloß Guten Tag sagen wollten, und erst recht, wenn sie wütend waren. Die Dame hingegen brauchte die Stimme nicht zu erheben, um zornig zu sein, allein der Blick, den sie der Haushälterin zuwarf, genügte, um diese zurechtzuweisen: Die erbleichte und verstummte, auch wenn sie keine Schläge bekommen hatte, ja nicht einmal angerührt worden war.
    »Ich bin untröstlich«, sagte die Dame mit dieser Stimme, die so schneidend wie ein Messer sein konnte, »ich bin bestürzt über das Ausmaß an Ungezogenheit, das sich da in meinem Haushalt breitgemacht hat, es ist kaum zu fassen. Ich muss unaufmerksam gewesen sein … Was kann ich tun, um mich zu entschuldigen? Würdest du ein Glas Honig mögen?«
    Diesmal hatte sie Rankstrail direkt angesprochen. Vor dem inneren Auge des Jungen entstand das Bild einer zähflüssigen bernsteinfarbenen Masse und er war sofort einverstanden. Die Haushälterin fuhr entsetzt in die Höhe, Mama wurde wieder rot, und schweren Herzens gelang es ihm, eine ablehnende Geste anzudeuten. Die Haushälterin ließ einen Seufzer der Erleichterung hören; die Dame tat, als bemerke sie nichts.
    »Ich bitte Euch«, sagte sie fröhlich und fest in ihrem Entschluss, »folgt mir.«
    Während er glücklich hinter ihr hertrottete, dachte Rankstrail, dass Dame Lucilla eine war, die sich wirklich nicht entmutigen ließ.
    Die Dame führte ihn und seine Mutter durch riesige Küchen, wo von den steinernen Gewölbebögen Kessel und Töpfe herabhingen, so groß wie Harnische und so blank wie Schwerter, endlose Zöpfe aus Zwiebeln, Knoblauch und getrockneten Peperoni, ganze Schinkenseiten und Ketten von Würsten, so lang wie ein Drachenschwanz, und dort zwang die Dame eine Köchin, die genauso mürrisch und herablassend war wie die Haushälterin, ihm ein ganzes Glas Honig zu schenken.
    Lang suchte die Köchin auf den Regalen der Vorratskammer. Es war klar, dass sie unter den Dutzenden der dort aufgereihten Gläser nach dem kleinsten suchte. Als sie endlich glaubte, es gefunden zu haben, gab sie es widerwillig dem Jungen. Als der das Glas fest in Händen hatte, wies er mit einem Blick und der Andeutung eines triumphierenden Lächelns auf das einzige Regal, in dem ein noch kleineres Glas stand als das, welches sie ihm gegeben hatte. Rankstrail empfand eine tiefe Liebe für die Dimensionen und Proportionen der Dinge, fast wie wenn es geometrische Figuren wären: Kaum hatte er die Küche betreten, hatte er auch schon ausgerechnet, dass ihr Haus achtmal in der Breite und anderthalbmal in der Länge darin Platz finden würde. Und mehr denn als kulinarische Verlockung beeindruckten ihn die um die Balken geschlungenen Wurstketten durch die Kreise, die sie dabei beschrieben. Immer und überall erkannte er auf der Stelle das größte und das kleinste Ding. Von den blanken Kupferkesseln war der größte der über dem Kamin in der Mitte. Das kleinste Töpfchen war das neben einem Knoblauchzopf, der seinerseits der drittlängste war.
    Die Köchin sah Rankstrail mit demselben Gesichtsausdruck an, womit man im Äußeren Bezirk lebende Kakerlaken oder mehr als einen Tag tote Frösche betrachtete. Denselben Blick richtete sie dann auf die Mama, die rot geworden war und ihre Wange mit der Hand bedeckte. Sie hatte sich die Wange einmal verbrannt, und wenn sie lächelte, verzog sich ihr Mund daher immer etwas nach einer Seite, wahrscheinlich lächelte sie deshalb so wenig und das war schade. Rankstrails Mama war wunderschön, wenn sie lächelte, er hätte sie dann am liebsten den ganzen Tag lang angeschaut.
    Rankstrail hatte diese Geschichte mit der Brandwunde gehört, als sie in Bruchstücken und Andeutungen einer neugierigen Nachbarin erzählt wurde: Die Orks waren da, der Hühnerstall stand in Flammen, einige der Frauen hatten sich Verbrennungen zugezogen, weil sie so viele Hühner wie möglich retten wollten. Mama hatte sich verbrannt, als sie Nerella aus dem Feuer holte, die jetzt bei ihnen lebte, das einzige Gut der Familie; in dankbarer Erinnerung an ihre Errettung legte sie auch fast jeden Morgen ein Ei.
    »Wer hat dir das Gesicht verbrannt? Ein Verehrer? Schade«,
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