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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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umgekehrt. Machte nichts. Ich hatte ja die Leiter. Das steigerte
mein Selbstvertrauen und machte mich fast übermütig. Hier oben war es wärmer als
im Wasser, obwohl der steinerne Bottich wenig von der Wärme des Abendsommers
herein ließ. Das Wasser aber erwärmte sich noch weniger, und außerdem wurde es
wahrscheinlich ständig erneuert, damit es schön kühl und frisch blieb. Ob es
unten im Haus schon leicht nach meinen Hosen schmeckte?
    Ich fühlte mich wie ein Seefahrer, der
jederzeit in den schützenden Hafen zurückkehren kann. Noch war ich naß und an
das Wasser gewöhnt. Ich wollte auch das letzte Stück der Bassinwand ergründen.
Und noch etwas anderes wollte ich wissen.
    Vorsichtig ließ ich mich wieder
hinunter. Das frostige Wasser trieb das Blut aus meiner Haut und ließ mich
japsend atmen. Ich schob den Oberkörper hinüber in den Winkel zwischen
Erkerwand und Mauer und trat von dort aus meine Rundreise an. Ich trieb auf dem
Rücken, jetzt mit schnelleren Stößen, weil ich nicht mehr so viel Kraft zu
sparen brauchte wie vorher. Meine linke Hand blieb am Stein, aber ich fand
nichts Neues. Die Luken konnte ich gut erkennen. Unter jeder verhielt ich und
starrte so lange hinauf, bis ich ganz sicher war. Die kreuzförmigen eisernen
Streben, die das Glas teilten, waren deutlich zu erkennen. An allen drei Luken.
Nach allem war anzunehmen, daß ich meinen Einzug durch die mittlere genommen
hatte. Auch geschlossen. Mein freundlicher Partner hatte sie hinter mir
zugeklappt. So ein ordentlicher Mensch.
    Gleichmäßig schlug ich mit den Beinen.
Das Plätschern pflanzte sich fort, kam wieder von überall her. Die Wellen
schlugen glucksend ringsum an die Wand. Ich stieß an den Erker und schwamm noch
einmal in die Mitte zum Turm. Ende der Reise. Jetzt kannte ich alles. So
schnell wird der Mensch heimisch. Die Ziffern und Zeichen meiner Uhr strahlten
in grünlicher Helle. Es war fünf Minuten nach halb zehn. Eine halbe Stunde
trieb ich mich im Trinkwasser herum. Noch nie hatte ich ausprobiert, ob die Uhr
wirklich wasserdicht war und allen Fluten trotzte bis zu zwanzig Atmosphären
Druck, wie die Hersteller es zusicherten. Bis jetzt hatte sie gut gehalten und
würde weiterticken fast vierzig Stunden, auch wenn ich auf dem Grund des
Bassins läge.
    Ich war jetzt genügend ausgekühlt. Raus
und auf die Leiter. Wenn das Ganze überhaupt gut ausging, konnte ich mindestens
mit einer lehrbuchechten Infektion der oberen Luftwege rechnen, wenn nicht mit
einer Lungenentzündung. Auf diese indirekte Weise konnte der Mörder sein Ziel
immer noch erreichen.
    Ich fand die Leiter sicher wie ein
Schlafwandler und zog mich empor. Jacke und Hemd wirkten als solider
Brustwickel.
    Mit viel Mühe streifte ich die Jacke
ab, denn ich brauchte eine Hand, um mich ander obersten Sprosse festzuhalten.
Als ich sie vom Leib hatte, zog ich sie unter der Sprosse durch. Dann begann
ich, mit der freien Hand Körper und Beine zu reiben. Ich klapperte jetzt
erbärmlich, und die Kälte wollte nicht weichen, trotz meinem Reiben und
Gezappel. Wozu mußte ich Erznarr auch noch mal ins Wasser? Als wenn das hier
ein Thermalbad wäre.
    Das Herumhängen an der Eisenleiter war
auch nicht gerade eine Erholung. Mir war klar, daß ich unter Umständen bis morgen
früh und noch länger hier aushalten mußte. Das war zwar eher möglich als im
Wasser, aber Strapaze genug. Sie würden mich mit dem Schweißbrenner loseisen
müssen.
    Ich hopste und rieb weiter. Ich drehte
meine Vorderseite abwechselnd zur Wand und zum Wasser hin und brachte auf diese
Weise die Arme ständig in eine andere Haltung. Sie schmerzten schon häßlich.
Die Finger waren ohne Gefühl. Wenn ich sie an die Wange legte, hatte ich das
Gefühl von Stangeneis auf meinem Gesicht.
    Zwischendurch versuchte ich nachzudenken.
Wie war das alles passiert? Meine Idee mit den Fenstern und der Taschenlampe.
Jemand hatte Wind davon bekommen. Er hatte auf mich gewartet, er mußte im Turm
gesteckt haben oder dahinter. Unter Umständen hätte ich ihn getroffen, wenn ich
die offene Luke nicht gesehen oder ignoriert hätte. Wenn schon. Zufälliges
Zusammentreffen.
    ›Ach, sieh mal an! Auch hier oben?‹
    Die Stagg war nicht erschienen, Maria
hatte im Park gesessen. Auf jeden Fall mußte meine Idee richtig sein und dem
Mörder unangenehm. Aus welchem Grunde saß ich sonst hier drin? Das müßte der
Kommissar sehen, dachte ich mit Grimm. Dann würde er hoffentlich seinen Irrtum
einsehen.
    Die untere Sprosse schnitt

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