Die letzte Visite
Kerl mich unmittelbar nach’m
Abendbrot. Komm’ Se rein!«
Ich trat ein und wartete, bis er die
Tür geschlossen hatte. Ich machte es so kurz wie möglich.
Zuerst sah sein Gesicht so aus, als
hörte er einen unanständigen Witz und wartete auf die Pointe. Aber das verging.
»Mensch, machen Se Spaß mit ‘m
bejahrten Herrn?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Keene Fehldiagnose?«
»Nein.«
»Junge«, sagte Bierstein heiser, »ist
das sauer. Is’ das sauer.«
Er zog sich an.
III
Wir saßen im Kasino, vier Leute in Weiß
und einer in Schwarz. Das war der Hauptkommissar Nogees von der
Kriminalpolizei.
Er hatte schwarzes Haar und einen
dunklen Indianerkopf. Ich sah ihn in der ganzen folgenden Zeit nie anders als
dunkel und schwarz. Als wäre er jederzeit bereit, Zeuge bei einer Hinrichtung
zu sein.
Er rauchte viel und hatte bräunliche
Nikotinfinger. Im ganzen war er mir nicht unsympathisch, denn er hatte Fältchen
an den Augenwinkeln und lustige Pupillen. Sicher konnte er lachen, wenn es was
zu lachen gab.
»Ist diese Pumpe schon öfter
ausgefallen?«
Bierstein nickte.
»Öfter ist keine Bezeichnung.« Er
sprach jetzt nicht mehr so schlesisch wie im verschlafenen Zustand. »Das Ding
hätte längst überholt werden sollen. Mitsamt dem ganzen wackligen Gemäuer. Es
ist ein Wunder Gottes, daß da nicht längst ‘ne Klamotte von oben gekommen ist.
Aber unsere Verwaltung hat kein Geld für so was. Jammert und hält die Kasse mit
beiden Händen zu.«
Ich sah Pinkus an und wußte, daß wir
beide das gleiche dachten. Bierstein hätte eine neue Pumpe binnen kürzester
Frist zu einem Wankelmotor umgebaut.
Der Kommissar sah mich an.
»Sie sind erst drei Tage da, Doktor
Bold. Woher wußten Sie so genau über die Pumpe Bescheid?«
Er wird mich doch nicht für den Mörder
halten, dachte ich.
Bei der Polizei hat man immer ein
schlechtes Gewissen, auch wenn es verhältnismäßig rein ist.
Ich gestand, daß ich mir am ersten Tag
das Gelände angesehen hätte, dabei auch den Turm mit der Pumpenkammer. Meine
Assistentin wäre zufällig raufgekommen und hätte erklärt, daß die Pumpe immer
mal stehenbliebe.
Hier grinste Pinkus unmerklich.
»Natürlich«, sagte Nogees, »und als das
Wasser wegblieb, dachten Sie gleich...«
»Jawohl.«
»Hm. Sie haben sich dann den Schaum
weggewischt und wollten schlafen gehen.«
»Ja.«
»Ja. Und warum sahen Sie vorher aus dem
Fenster?«
Was hatte der Kerl mit mir.
»Kein besonderer Grund, Herr Kommissar.
Ich hatte vorher das Fenster fast zu und den Vorhang vorgezogen wegen der
Mücken. Wollte frische Luft reinlassen. Habe eine Weile gewartet, dann
aufgemacht. Da sah ich Schwester Anna.«
Nogees lächelte.
Meine Sorgen waren weg.
»Und nach zwanzig Minuten wurden Sie
unruhig?«
»Ja. Ich wartete eigentlich mehr auf
das Wasser — gar nicht so sehr auf die Oberschwester...«
Nogees schoß die nächste Frage gegen
Bierstein wie mit einer Steinschleuder.
»War die Oberschwester sehr beliebt
hier im Haus?«
Bierstein zog seinen Mund in die Breite
und wackelte leise mit dem Vierkantschädel. Es war, als hätte der Kommissar ihn
anpumpen wollen.
»Beliebt war se nich.«
»Warum nicht?«
»Das ist so ‘ne Sache, Herr Kommissar.
Eine Oberschwester ist selten beliebt, ob sie ‘n Drachen ist oder ‘n Engel. Sie
ist meistens in dem Alter, wo sie nichts mehr interessiert als ihre Arbeit und
Kaffeetrinken. Sie hat genügend Zeit zum Aufpassen.«
»Ist das ein Fehler?«
»Das ist kein Fehler. Wenn in einem
Krankenhaus keiner aufpaßt, ist es bald so weit, daß die Spritzen im
Sterilisator weichgekocht werden, weil die Mädchen klatschen müssen, und daß
die Fieberkurven aussehen wie Entwürfe von Picasso. Aber man kann’s
übertreiben. Gott bewahr mich, daß ich Böses sage, jetzt, wo sie tot ist. Aber
Sie wollen ja ‘ne Auskunft von mir und keine Grabrede. Sie hat nie fünfe gerade
sein lassen, auch wenn es mal nicht darauf ankam. Und sie hatte die fatale
Angewohnheit, sich um alles zu kümmern, auch wenn es mit dem Dienst nichts zu
tun hatte.«
»Sie mochten Sie also auch nicht?«
Bierstein enttäuschte mich nicht.
»Nee. Ich war froh, daß sie den Laden
in Schuß hatte — bin selber a bissel schlampig, wissen Sie — und außerdem muß
man hinter den gelernten Tuberkulosebrüdern her sein wie der
Gerichtsvollzieher. Sonst decken sie das Dach ab und bieten einem die Schindeln
zum Selbstkostenpreis an. Aber daß die Anna mein Traum gewesen wäre... nee, das
kann ich
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