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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur
Autoren: Charlotte Link
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gleichmäßige Ticken der Uhr. Sie fror plötzlich, viel schlimmer als kurz zuvor im Garten. Das Frieren kam tief aus ihrem Innern.
    Cedric bestritt die Unterhaltung beim Mittagessen fast allein, indem er höchst amüsant und witzig von New York und seinen Erlebnissen der letzten Wochen erzählte. Er trank viel und schnell vom Wein, und wie immer unter Alkoholeinfluss wurde er ein lebhafter, kurzweiliger Gesellschafter. Rosanna registrierte dankbar, dass Victor häufig lachte und sehr gelöst wirkte. Als sie mit dem Nachtisch fertig waren, sagte er: »Wisst ihr was, Kinder, ich erledige jetzt den Abwasch, und ihr beide macht einen schönen Spaziergang zusammen. Ihr wart lange nicht mehr in Kingston St. Mary. Bestimmt habt ihr Lust, euch umzusehen!«
    »Das kommt gar nicht …«, setzte Rosanna an, aber Cedric unterbrach sie sofort: »Es wäre fantastisch, wenn du uns für ein, zwei Stunden entbehren könntest, Dad. Ich würde gern … na ja, ich dachte, ich sollte vielleicht Geoff mal besuchen. Habe ihn lange nicht gesehen.«
    »Aber doch nicht an Dads Geburtstag!«, sagte Rosanna empört.
    »Wer weiß, wann ich wieder hier bin!« »Willst du etwa morgen schon wieder nach New York zurück?«
    »Nein. Aber nach London. Ein paar Leute von früher besuchen.«
    »Typisch. Schon ein Tag in Kingston St. Mary ist zu viel. Ich dachte, du bleibst ein paar Tage hier!«
    »Ach!« Cedric funkelte sie über den Tisch hinweg an. »Wenn ich das richtig verstanden habe, bist du selber morgen in London, kleine Schwester, oder nicht? Auch ziemlich eilig!«
    »Ich habe dort einen beruflichen Termin. Das ist ja wohl etwas anderes!«
    »Nun ja, wie man …«, setzte Cedric an, aber Victor hob beschwichtigend beide Hände. Er sah plötzlich sehr müde aus und älter, als er war.
    »Bitte, Kinder, nicht streiten! Ich verstehe sehr gut, dass ihr beide, aus welchen Gründen auch immer, morgen nach London wollt. Und das ist kein Problem für mich. Ich komme gut mit meinem Leben zurecht.«
    »Aber heute ist dein Geburtstag. Ich finde es nicht richtig, wenn …«
    »Ich kann nach dem Abwasch ein Schläfchen ganz gut brauchen. Auch an meinem Geburtstag. Warum gehst du nicht mit Cedric und besuchst Geoffrey, Rosanna? Du kennst ihn doch auch noch gut von früher. Wenn ihr um fünf Uhr zum Tee zurück seid, freue ich mich. Bis dahin ruhe ich mich aus.«
    Cedric sprang auf den Vorschlag sofort begeistert an. »Klasse. Rosanna, würdest du das tun? Ich würde mich viel besser fühlen, wenn du mitkommst. Die Unterhaltungen mit Geoff sind … na ja, du weißt ja. Seit seinem Unfall ist es nicht einfach mit ihm.«
    »Es ist ja auch kein Zuckerschlecken, querschnittsgelähmt in einem Heim zu sitzen, ohne die geringste Zukunftsperspektive. «
    »Vielleicht könnte das Gespräch mit ihm ganz interessant sein, Rosanna«, meinte Victor, »im Hinblick auf deine geplante Serie, meine ich. Hör dir doch mal seine Meinung an, was das Verschwinden von Elaine betrifft. Er hat da sicher seine ganz eigenen Ideen. Im Übrigen fände ich es auch nicht in Ordnung, wenn ihr beide hier seid und ihn nicht besucht. Als Kinder habt ihr so viel miteinander gespielt.«
    Rosanna erhob sich seufzend. »Okay. Überredet. Ich komme mit. Er lebt jetzt in Taunton, nicht?«
    »Der wird Augen machen, wenn er uns sieht!«, sagte Cedric.
    Rosanna folgte ihrem Bruder aus dem Wohnzimmer und dachte, dass Cedric eine bewundernswerte Gabe hatte, sich das Leben möglichst einfach zu gestalten. Die schwierige Unterhaltung mit einem verbitterten und vielleicht aggressiven Geoffrey würde er nun ihr überlassen, später jedoch mit dem guten Gefühl nach New York zurückfliegen, sich um seinen alten Freund ausgiebig gekümmert zu haben.
    Aber im Übrigen hatte ihr Vater natürlich recht: Sollte sie den Artikel über Elaine Dawson wirklich schreiben, brauchte sie ohnehin ein Gespräch mit deren Bruder –Elaines letztem lebenden Verwandten und dem Mann, der von ihrem spurlosen Verschwinden am meisten betroffen gewesen war.
     
    2
     
    The Elephant hatte sonntags geöffnet, aber nach einigem Hin und Her hatte sie bei Justin angerufen und sich für diesen Tag erneut krankgemeldet. Erwartungsgemäß hatte Justin gemurrt und gejammert, aber da zu dieser Jahreszeit praktisch überhaupt keine Touristen unterwegs waren und zudem an den Sonntagabenden auch kaum Dorfbewohner den Weg in die Kneipe fanden, konnte er nicht behaupten, unter der Arbeit zusammenzubrechen, wenn seine Serviererin nicht erschien.
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