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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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war zu sehen, dass ganz Brügge im Dunkeln lag.
    Pierre Cloizel nutzte die unerwartete Gelegenheit und rannte los.
    »Er rennt weg!«, rief jemand.
    »Wo ist er?«, fragte eine Stimme.
    »Hier«, antwortete eine dritte.
    »Wo ist hier?«, wollte eine vierte wissen.
    »Nach rechts«, sagte eine fünfte, und spätestens nun hatten alle den Überblick verloren.
    »Ruhe!«, brüllte plötzlich Wolfi Lüdenscheid-Bietigheim. »Ich sehe zwar schlecht, aber höre wie ein Luchs.« Stille trat ein.
    »Adi, wo bist du?«
    »Hier.«
    Kurze Zeit später schloss sich eine Hand ungeschickt um Adalberts Handgelenk. »Wir schnappen uns den jetzt. Aber gerade bewegt der gerissene Hund sich nicht mehr.« Hatte der Professor Wolfi etwa unterschätzt?
    »Am Ausgang«, sagte jemand leise, und damit begann Cloizel wieder zu rennen.
    Der Professor wurde mitgezerrt.
    »Den kriegen wir gleich, den Verbrecher«, sagte Wolfram. »Der will bestimmt zum Ausgang. Also, ich würde da an seiner Stelle auf jeden Fall hinwollen.« Mit einem Mal gingen die Schritte in eine andere Richtung. »Das hab ich gerade nur gesagt«, flüsterte Wolfram nun, »damit er da nicht hinrennt. Ganz schön schlau, was? Mir macht keiner was vor. Der ist hoch in die Ausstellung. Hörst du die Schritte auf den Treppenstufen?«
    Cloizel ging tatsächlich in die Ausstellungsräume der ersten Etage. Die großen Schaukästen dort waren nicht abgeschlossen. Dank der gutgläubigen Madame Baels hatte Cloizel sich damals die Mordwaffe beschaffen können.
    »Und wo ist er nun?«, fragte der Professor leise.
    »Rechts, der ist rechts hineingegangen.«
    Wolfi hatte recht. Das merkte der Professor, als er den Raum betrat und Cloizel ihm eine Machete an den Hals drückte. Die Schneide war aufgeraut und hatte die Gefährlichkeit einer Säge. Cloizel musste den ersten Ausstellungsschrank geöffnet und sich eine Machete gegriffen haben, die sonst zur Ernte der Kakaoschoten verwendet wurde.
    »Zurück, sonst stirbt er! Auf einen mehr oder weniger kommt es nicht mehr an. Die Treppe hinunter. Und sagen Sie allen, dass ich keinen hier oben im Museum sehen will, alle bleiben unten im Skulpturensaal! Sonst bring ich ihn um!«
    Wolfram wich zurück. »Adi?«
    »Ist schon gut. Geh hinunter zu den anderen. Ich komme schon klar«, beruhigte Bietigheim ihn.
    »Soll ich irgendwem was ausrichten, dass du sie liebst oder so?«
    »In ihrem Herzen weiß sie es.«
    »Gehen Sie endlich!«, zischte Cloizel.
    »Damit kommen Sie niemals durch, nicht beim Adi. Der ist ein Schlaukopf!«, rief Wolfram voller Inbrunst, bevor er sich umdrehte und verschwand.
    »Das werden wir ja sehen«, antwortete der Franzose.
    Wolfram war fort, die Machete drückte immer noch gegen Adalberts Kehlkopf. »Und nun?«, fragte er und versuchte ruhig zu bleiben. »Es ist aus, Cloizel. Das wissen Sie.«
    »Es gibt immer einen Weg. Muss es.«
    Adalbert spürte ein leichtes Zittern in Pierre Cloizels Hand.
    »Wussten Sie eigentlich, dass die Kakaofrucht direkt vom Stamm geerntet wird? Eine der wenigen Pflanzen, bei denen sie nicht an einem Ast wächst. Der wissenschaftliche Ausdruck dafür ist Kauliflorie. Sehr faszinierend.« Es beruhigte den Professor immer zu referieren. »Kakaobäume sind übrigens sehr wählerische Pflanzen. Oberhalb von zwanzig Grad nördlicher sowie unterhalb von zwanzig Grad südlicher Breite weigern sie sich, Früchte zu tragen.«
    »Hören Sie auf zu reden, bitte, ich kann nicht denken«, fuhr Cloizel ihn an.
    »So, wie ich es sehe, haben Sie schon seit dem Mord an der jungen Reekmans das Denken eingestellt. Wollte sie Anspruch auf das Erbe erheben?« Adalbert versuchte, ihn zum Reden zu bringen. Es schien zu gelingen.
    »Nein, zumindest hat sie es nicht gesagt. Bea freute sich über Verwandtschaft in Frankreich, freute sich, mich getroffen zu haben. Sie hatte die Lilie in meinem Wappen tatsächlich erkannt – am Abend ihres Todes hat sie es begriffen. Ihre Großmutter hatte ihr nie etwas gesagt, das Geheimnis für sich behalten.« Er wurde für einen Moment still. »Ich konnte es einfach nicht riskieren, verstehen Sie? Vorher hatte ich ihre Nähe gesucht, um zu erfahren, was sie wusste, was ihre Eltern wussten. So, als hätte ich noch eine Wahl.« Er schluckte schwer. »Sie haben recht, ich dachte beim … Mord nicht darüber nach, was ich tat. Nicht wirklich. Ich griff mir einfach etwas und war wie von Sinnen. Das, wofür ich mein Leben lang gekämpft hatte, die Anerkennung meines Vaters, die Firma, der
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