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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung
Autoren: Stephan M. Rother
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des Plotin oder von sonstwem gehalten, der in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung in griechischer Sprache geschrieben hatte. Oder eben für eine frühe Evangelienhandschrift. Auch der Papyrus selbst und die saubere Verarbeitung der Fasern — das alles war zwar nicht Amadeos Spezialgebiet, aber so exakt hatten die Papyruswerkstätten im Mittelalter ganz sicher nicht mehr gearbeitet. Alles sprach für einen Text, der vor dem dritten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung entstanden war. Alles, bis auf den Inhalt. Es klopfte.
    Amadeo fuhr zusammen. Ein schmerzhafter Krampf schoss durch seinen Nacken, als jemand seinen Namen rief. Die brandgesicherte Tür zum Sekretum besaß an der Außenseite keine Klinke und ließ sich nur mit dem Schlüssel öffnen.
    »Amadeo? Eingeschlafen?«
    Der Restaurator sprang auf. Für einen Moment wollten seine Beine unter ihm nachgeben. Maledetto , wie lange habe ich da bloß gesessen? Er war schon auf halbem Weg zur Tür, da hielt er inne. Ein Blick über die Schulter, und...
    »Un momento!«
    Amadeo hob den Karton mit den Handschriften an und stellte ihn vorsichtig auf der Glasplatte ab. Ein Stückchen mit den obersten beiden Papyri schaute hervor, doch von der Tür aus war das nicht zu sehen. Das musste genügen.
    Er wandte sich um, stieß mit der Hüfte gegen die Lehne des Arbeitsstuhls und fluchte unterdrückt. Schließlich drückte er die Klinke und öffnete.
    »Amadeo?«
    Niccolosi blinzelte. Eine verirrte Reflexion des Halogenlichts fiel über Amadeos Schulter hinweg auf seine kahle Stirn.
    »Volle Festbeleuchtung«, murmelte der Glatzkopf.
    Amadeo war gar nicht bewusst gewesen, dass er das Sekretum tatsächlich ausgeleuchtet hatte wie einen Seziersaal. Draußen im Flur brannte an der Decke eine Neonröhre, doch für ihn sah es im ersten Augenblick aus wie Dämmerlicht.
    »Taddeo«, stellte Amadeo fest. »Du bist es.«
    »Che hello« , nickte Niccolosi. »Schön, dass du mich erkennst. Ich wollte dir nur sagen, dass wir jetzt Feierabend machen. Ist irgendwas nicht in Ordnung?«
    Er kniff die Augen zusammen. Amadeo glaubte nicht, dass er viel mehr von ihm sehen konnte als die Umrisse. Niccolosi verrenkte sich den Hals und versuchte um ihn herumzuspähen. »Schon mitten in der Arbeit?«, fragte er. »Also, wenn du Hilfe brauchst...«
    Amadeo schüttelte den Kopf und lehnte sich wie zufällig in den Türrahmen, so dass er dem Kollegen den Blick versperrte.
    »Ich sehe«, meinte Niccolosi.
    Du siehst, dass du nichts mehr siehst, dachte Amadeo und hatte gleichzeitig ein schlechtes Gewissen. Taddeo Niccolosi war manchmal ein Trampel, an sich jedoch kein übler Kerl.
    »Und?«, fragte Amadeo. »Was macht der heilige Antonius?«
    »Auf dem Wege der Besserung«, sagte der Glatzkopf. »In ein paar Tagen ist er wieder so trocken wie das Zeug, das drinsteht. Das Pergament wird vielleicht im Ganzen etwas dunkler sein als vorher, aber das merkt der Kunde nicht, wetten?
    Damit wäre ich dann so weit fertig. Ich weiß ja nicht, was du da drin tust.« Er machte eine flatternde Handbewegung auf den für ihn jetzt unsichtbaren Schreibtisch hin. »Falls was Interessantes dabei ist...«
    Was Interessantes. Amadeo war sich nicht sicher, ob er seine Gesichtszüge unter Kontrolle hatte. Er konnte nur hoffen, dass Niccolosi nichts erkennen konnte.
    »Ach ja«, der Glatzkopf wich seinem Blick aus, »übrigens, da war noch was: Wenn Carla mal wieder anruft, nach Feierabend meine ich«, er schien nichts bemerkt zu haben, »dann stecke ich bis über beide Ohren in Arbeit — und zwar auch für den Fall, dass ich nicht mehr da sein sollte. Wir verstehen uns?«
    Amadeo nickte. Sein Kollege als Aufreißer. Ihm fehlte die Fantasie, sich das vorzustellen. Oder er wollte es sich einfach nicht vorstellen. Er mochte Carla Niccolosi.
    »Kein Thema«, sagte er und nickte.
    »Bene.« Der Glatzkopf sah ihn noch einen Augenblick an. »Dann wünsche ich dir einen schönen Feierabend. Nachher. Mach nicht mehr zu lang mit... dem da.«
    »Ich geb mir Mühe«, sagte Amadeo.
    Er schloss die Tür und ließ sich schwer dagegensinken. Verdammt. Er brauchte einen caffè .
V
    Eine Viertelstunde verharrte er lauschend an der Tür, ohne den Karton aus dem Vatikan aus den Augen zu lassen. Den Karton, unter dem sich ein Geheimnis verbarg, so monströs, so weitreichend, dass Amadeo es noch nicht erfassen mochte, erfassen konnte. Er starrte den Pappbehälter an, als müsste jeden Augenblick eine Klauenhand daraus
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