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Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht
Autoren: Andrea Fazioli
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Arbeit!«
    Georges begrüßte den Gärtner, der gerade ein mit Rosmarin, Thymian und Majoran bepflanztes Beet wässerte. Madame Augustine forderte Georges auf, auch Jean ein Glas anzubieten. Der nahm die Einladung an, wobei er sich für seine mit Erde beschmutzten Hände entschuldigte.
    »Zum Ausgleich dafür schenken Sie mir Rosmarinduft«, lächelte Madame Augustine.
    Alle nippten an ihrem Pastis, während die Zikaden im Garten ihr Konzert fortsetzten. Die Villa stammte aus dem frühen 20. Jahrhundert. Ein großes, gelb gestrichenes Gebäude mit grünen Jalousien und Gipsstuck über den Fenstern. Hier und dort fehlte ein wenig Farbe, und auch das Holz am Geländer des Portikus schien täglich morscher zu werden. Aber, so Madame Augustine, es war besser, sich ans Morschwerden zu gewöhnen.
    Als er ausgetrunken hatte, verabschiedete sich der Gärtner: Er habe noch einige Arbeiten zu erledigen und müsse wegen einer Bestellung runter ins Dorf. Madame Augustine ermahnte ihn, keine Zeit zu verlieren.
    Bevor er ging, wässerte er noch zwei Kornelkirschen und einige besonders empfindliche Schneeballbüsche. Dann begab er sich in den östlichen Teil des Gartens, wo er ein paar Tage zuvor einen jungen Olivenbaum gesetzt hatte. Die ersten Tage waren entscheidend dafür, ob er anwuchs oder nicht.
    Es war ein klassisch angelegter Garten, ohne allzu strenge Geometrien, aber mit einer klaren Einteilung durch Wege, Baumgruppen, Büsche und Blumenrabatten. Der Hauptweg lief mitten durch eine leicht abschüssige Wiese und verzweigte sich dann: auf der einen Seite die Gemüsebeete, auf der anderen der Obstgarten. Der Gärtner nahm einen Spaten aus einem Schuppen neben den Gemüsebeeten und durchquerte den Obstgarten.
    Der Baum kam allmählich zu Kräften. Der Gärtner hatte rings um den Stamm Erde gehäufelt und eine Art Wall geschaffen, damit das Wasser in der Mulde blieb und ja kein Tropfen verloren ging. Er grub den Boden ein weiteres Mal um, erneuerte den Erdwall. Schließlich nahm er eine Gießkanne und wässerte den Olivenbaum.
    Dann wusch er sich, zog sich um und beeilte sich ins Dorf zu kommen, bevor Bank und Post schlossen. So konnte er noch ein paar Formalitäten erledigen: zwei Rechnungen begleichen, das Gehalt einzahlen, drei Bestellungen für Saatgut und einige Rosenpflanzen aufgeben.
    Er blieb auf ein Gläschen bei Marcel. Vor dem Restaurant, im Schatten dreier riesiger Platanen, lag ein offener Platz mit ein paar Tischen und einer Bahn für die Pétanque- Spieler. Marcels Kundschaft war gemischt: Touristen, die nach einer Spécialité verlangten, Alteingesessene, die auf einen Aperitif vorbeischauten, Jäger, die sich nach einem wenig erfolgreichen Tag mit einem Halben trösteten.
    Der Gärtner ließ sich auf eine Partie ein. Er war ein ganz guter Spieler: präzise beim Wurf und vor allem ein guter Pointeur. Meistens spielte er mit Georges, dem Hausdiener, in einer Mannschaft, der ein sehr guter Frappeur war (fünf von sechs Kugeln im Schnitt), und mit einem Mechaniker aus dem Dorf als Milieu.
    An diesem Abend beließ er es allerdings bei einigen wenigen Würfen, um nicht aus der Übung zu kommen. Der Platz begann sich allmählich zu füllen, während die Sonne hinter dem Kirchturm verschwand. Drei Jugendliche mit Mofas hielten unter einer Platane. Die ganz Alten saßen nebendran und musterten die Vorübergehenden.
    Es gab auch ein paar Touristen. Einer fotografierte die Pétanque -Spieler, obwohl das dem Gärtner nicht behagte. Er liebte das geregelte Leben: den Garten, einen Aperitif, die Angeltouren, die Markttage und den sonntäglichen Kirchgang. Das war nicht immer so gewesen, aber nun hatte er einen Weg eingeschlagen, der ihm guttat. Er hatte einige Freunde unter den Urlaubsgästen; aber die lauten Touristen mochte er nicht, und fotografiert werden mochte er schon gar nicht.
    Gerade in dem Augenblick, als er zum Wurf durch den Rond ansetzte, rief Marcel nach ihm.
    »Hey, Jean, ein Anruf für dich!«
    »Für mich?«, wunderte sich der Gärtner. »Wer ruft mich denn hier an?«
    Sie gingen hinein.
    »Vermutlich eine Verwandte von dir«, meinte Marcel. »Sie wollte wissen, ob ich Jean Salviati kenne und sagte: Fragen Sie ihn, ob er Lina Salviati sprechen möchte.«
    Marcel sprach den Nachnamen mit der Betonung auf dem letzten i aus.
    »Lina Salviati?«, fragte der Gärtner.
    »Genau. Ist sie mit dir verwandt?«
    Jean Salviati nickte und nahm den Hörer ans Ohr, sagte jedoch nichts. Er wollte abwarten, bis Marcel
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