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Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht
Autoren: Andrea Fazioli
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sich entfernt hatte. Dann sprach er mit leiser Stimme:
    »Hallo?«
    »Hallo«, antwortete ein Mann auf Italienisch. »Spreche ich mit Herrn Salviati?«
    Diesmal lag die Betonung auf dem zweiten a.
    »Ja, das tun Sie«, erwiderte der Gärtner.
    »Ich bin der Inhaber der Bar La Pergola, hier in Lugano«, fuhr die männliche Stimme fort. »Ihre Tochter hat Sie angerufen, aber dann musste sie weg. Sie hat mich gebeten, Sie zu benachrichtigen. Wenn Sie mich nun …«
    »Aber wie kann ich sie erreichen?«, fragte Salviati.
    »Was weiß denn ich? Ich kenne sie überhaupt nicht!«
    »Ach so, natürlich … tut mir leid. Aber was hat sie denn gesagt …?«
    »Sie hat nur diese Nummer gewählt, dann ist sie gegangen und hat mich gebeten, sie zu entschuldigen. Aber Sie werden doch wissen, wo Sie Ihre Tochter erreichen, oder?«
    »Natürlich«, murmelte Salviati, während er den Hörer auflegte, »natürlich.«
    Er lehnte an der Mauer, ohne sich zu rühren. Für ein paar Sekunden lauschte er auf die Geräusche, die vom Platz kamen, und dachte an seine Tochter. Wie lange hatte er nichts von ihr gehört? Sechs Monate, mindestens.
    Auf einmal bekam Jean Salviati es mit der Angst zu tun. Er hatte noch immer ein gewisses Gespür für diese Dinge. Er sah die Flammen, lange bevor es verbrannt roch. Seine Tochter war schon oft in Schwierigkeiten geraten, ohne jemals seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hatte sie es sich diesmal anders überlegt? Aber weshalb? Was war geschehen … oder was geschah gerade?

3
Vor allem braucht man Mut
    Bisweilen tut man etwas aus dem vielleicht banalen, aber deshalb nicht minder zwingenden Grund, nichts Besseres zu tun zu haben. Welche Möglichkeiten Lina auch erwog, welche Alternativen sie sich überlegte, es blieb doch ein Samstagabend ohne Geld.
    Sie konnte nicht ins Kasino, hatte keine Jobs in Aussicht… was blieb ihr also? Eine Einladung zum Abendessen, die sie im Briefkasten gefunden hatte. Zuerst hatte sie nicht gewusst von wem, vielleicht wegen des Nachnamens. Aber dann war ihr der junge Blonde aus der Spielbank eingefallen.
    Ich bin Matteo, erinnern Sie sich? Der Freund, der mit Ihnen den Kummer eines Kasinoabends geteilt hat. Wenn Ihre Situation immer noch dieselbe ist und Sie sich nichts Besseres überlegt haben, würde ich Ihnen gerne eine Idee unterbreiten. Was halten Sie davon, wenn wir uns um acht in der Bar am Lido von Lugano treffen? Falls Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie gerne zum Essen einladen.
    Ich erwarte Sie heute Abend!
    Matteo Marelli
    Durfte man jemandem trauen, der so schrieb? Aber immerhin, dachte Lina, während sie die passende Garderobe auswählte, lohnte es sich vielleicht zu schauen, welches Spiel er spielte. Sie hatte zwar einen Versuch unternommen, ihren Vater um Hilfe zu bitten, es dann aber doch nicht fertiggebracht. Seitdem er sich zurückgezogen hatte, war ihr Verhältnis nicht mehr besonders gut. Lina konnte seine Entscheidung, in diesem Kaff zu leben und eine stumpfsinnige Tätigkeit als Gärtner anzunehmen, nicht verstehen.
    Letztlich stand es noch gar nicht so schlimm um sie. Wenn sie eine Arbeit finden und es schaffen würde, sich eine Weile zusammenzunehmen. Vielleicht war ja auch an diesem ominösen Plan des Blonden was dran …
    Sie beschloss, nicht zu übertreiben. Keine dekolletierten Kleider oder allzu kurzen Röcke. Jeans, hochhackige Schuhe und ein schwarzer Seidenpulli. Sie ließ das Haar offen und schminkte sich nur leicht. Schließlich hatte er sie nicht in ein Luxusrestaurant eingeladen.
    Der Lido von Lugano ist ein Ort mit zwei Gesichtern. Tagsüber drängen sich am Seeufer und um die Schwimmbecken haufenweise Jugendliche, Mütter mit ihren Kindern, Großeltern, die sich unter riesigen Strohhüten verstecken. Am Abend aber gehen in der Bar die Lichter an, hautenge Oberteile, violett lackierte Fingernägel tauchen auf, Musik und Gin-Tonic erobern das Feld.
    Matteo, ebenfalls in Jeans und T-Shirt, hatte zwei Plätze in einer Ecke ergattert.
    »Schön, Sie zu sehen«, begann er, und lud sie ein, Platz zu nehmen. »Wollen wir uns nicht duzen?«
    »Du hast von einer Idee gesprochen«, erwiderte Lina.
    »Ich erklär’s dir gleich. Willst du was trinken?«
    Sie bestellten zwei Martini und sahen sich erneut in die Augen. Vorsichtig. Lina wurde aus diesem Kerl immer noch nicht schlau. Sein Verhalten hatte etwas Aggressives, aber sein Interesse schien nicht geheuchelt. Lina dachte: Und wenn er nur mit mir ins Bett will?
    »Ich seh schon, du entspannst
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