Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht
Autoren: Andrea Fazioli
Vom Netzwerk:
war schön, meinen Vater nach so langer Zeit wiederzusehen.«
    De Marchi nickte.
    »Ein bewegendes Treffen?«
    »Ja.«
    Sie war nicht gerade gesprächig, Salviatis Tochter. Abgesehen davon, dass de Marchi nicht wusste, was er sie fragen sollte.
    »War es wegen Contini, dass Sie sich wiedergesehen haben?«
    »Nein, mein Vater ist meinetwegen nach Lugano gekommen. Er hat nur die Gelegenheit genutzt, um Contini wiederzutreffen.«
    »Die beiden sind alte Freunde.«
    Das war keine Frage. Lina schwieg. De Marchi seufzte.
    »Und Matteo Marelli?«
    »Matteo Marelli was?«
    »Haben Sie ein Verhältnis mit ihm?«
    Lina lächelte. Der Kommissar kam einer sarkastischen Antwort von ihr zuvor.
    »Nicht, dass ich mich in Ihre Angelegenheiten einmischen will. Wir gehen nur ein paar Gerüchten nach.«
    »Gerüchten?«
    »Nichts Ernstes. Haben Sie ein Verhältnis?«
    »Ich weiß es nicht.« Lina lächelte erneut. »Das wird sich zeigen.«
    Zwischen ihnen herrschte noch Zurückhaltung, eine Art Scheu voreinander. Es war nicht einfach. Lina war eine Vagabundin, an schlechte Gesellschaft und das Leben in Hotels gewöhnt. Spielabende, Kreuzfahrten, ein Lächeln als Tauschwährung. Er selbst war ein kleiner Gauner, der sich, wann immer es nötig war, geschickt aus dem Staub machte. Dennoch hatten sie sich während jener Tage der Gefangenschaft etwas aufgebaut. Matteo konnte es sich nicht erklären, aber er verspürte das Bedürfnis, Lina zu sehen, gelegentlich ein wenig Zeit mit ihr zu verbringen.
    »Ich bin mir nicht sicher. Es wird sich zeigen. Jedenfalls sind wir nicht zusammen.«
    »Kennen Sie ihren Vater?«
    »Jean Salviati? Nur flüchtig.«
    »Haben Sie jemals mit ihm zusammengearbeitet?«
    Matteo sah de Marchi mit beleidigter Miene an.
    »Ich verkehre nicht mehr in diesen Kreisen.«
    »Salviati auch nicht.«
    »Schön für ihn.«
    »Und welcher Arbeit gehen Sie nach, Marelli?«
    »Ich bin auf der Suche.«
    De Marchi sah aus dem Fenster. Auf dem Viale Franscini stockte der Verkehr. Der Lärm der Autos drang gedämpft durch die Doppelglasscheiben. Er drehte das Feuerzeug zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her, sah Marelli an und sagte:
    »Na dann, viel Glück.«
    Es war ein Wintertag. Aber es lag bereits ein erster Hauch von Frühling in der Luft. Als habe sich in die Menschen, die Autos und die kahlen Bäume eine geheime Kraft eingeschlichen. Der Himmel schien weniger tief zu hängen, das Licht über den Kastellen wirkte klarer. Lina verließ das Gebäude der Kantonspolizei von Bellinzona und lief in Richtung Piazza Indipendenza.
    Sie suchte sich einen Platz in einer Bar, um zu telefonieren. Sie bestellte einen Kaffee und rückte den Stuhl zurecht, um durch die Scheibe auf die Piazza mit dem Obelisken in der Mítte zu sehen.
    »Ja bitte.«
    »Ich bin’s.«
    »Lina!«
    Salviati presste den Hörer ans Ohr und senkte den Kopf, als wolle er auf diese Weise dem Gespräch mehr Intimität verleihen. Die Bar war praktisch leer, aber es genügte eine Kleinigkeit, um sie abzulenken: das Scheppern der Kasse, das Lachen eines Gastes.
    »Wie geht es dir, Lina?«
    »Gut. Ich habe mit der Polizei gesprochen.«
    »Aha.«
    »Kein Problem. Sie haben mir ein paar Routinefragen gestellt. Was macht die Arbeit? Hast du mit dem Garten angefangen?«
    »Ich schaue gerade Kataloge durch, um für den Frühling zu bestellen.«
    »Schön.«
    »Und du? Weißt du schon, was du machen willst?«
    »Ich denke drüber nach.«
    »Magst du für eine Weile in die Provence kommen?«
    »Was soll ich da machen?«
    »Ach, eine Arbeit kann ich schon für dich finden. Wenn ich Madame Augustine frage …«
    »Lass erst mal. Aber ich würde dich gerne besuchen kommen. Demnächst vielleicht, wenn es etwas wärmer ist.«
    »Hier ist immer Platz! Und …«, Salviati zögerte, »wenn Matteo mitkommen will …«
    »Oh, danke. Ich würde gern die Villa wiedersehen.«
    Nach einiger Zeit wussten sie nicht mehr, was sie sich sagen sollten. Vielleicht war das unvermeidlich. Er wollte ihr nicht zu viele Fragen stellen, und sie wollte nicht zu einfache Antworten geben. Wie auch immer, Lina hatte sich verändert. Sie suchte nach einem Weg, und ihm blieb nichts anderes übrig, als auf sie zu warten.
    »Dann grüß mir Matteo!«
    »Mach ich. Bis bald!«
    »Ja, bis bald …«
    Salviati legte den Hörer auf und trat hinaus an den Tisch neben der Tür. Die Luft war noch kühl, aber mit Jacke war es angenehm. Er zündete die Pfeife an und sah auf den Platz. Die Pétanque- Bahn lag bereit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher