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Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht
Autoren: Andrea Fazioli
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wollt, kein Problem. Ich gehe.«
    Sein Gesichtsausdruck unter dem Bart war unergründlich, die Augen rot gerändert, die Stimme vollkommen tonlos.
    »Bleib hier«, rief Salviati. »Bleib hier, dann erzähle ich euch, wie ich den drei Männern von Forster, die in die Bank eingedrungen sind, entkommen bin. Dank deiner Hilfe, Filippo, konnte ich fliehen.«
    »Ich …«, stammelte Filippo, »ich habe zugelassen, dass Forster …«
    »Sprechen wir nicht mehr darüber«, unterbrach ihn Contini. »Forster ist abgehauen.«
    »Er muss schon ziemlich unter Druck sein«, sagte Salviati, »wenn er am helllichten Tag mit einer Pistole bewaffnet herkommt … aber am Ende hat er gemerkt, dass er keine Chance mehr hat.«
    »Und nun?« Anna war erschrocken. »Wird er’s noch einmal probieren?«
    »Ich glaube nicht«, erwiderte Contini. »Er wollte uns hier alle versammelt haben und die Gelegenheit nutzen, ohne ein Risiko einzugehen. Jetzt hat er zumindest das Geld, Lina ist frei, und für uns ist es okay so.«
    »Aber es ist nicht gerecht!«, rief Anna. »Es ist ungerecht, dass wegen … dass Forster jetzt die zehn Millionen hat!«
    »Nicht so schlimm«, sagte Salviati, in eine Rauchwolke gehüllt.
    »Wie, nicht so schlimm?« Annas Stimme war eine Oktave höher als gewöhnlich. »Soviel Mühe, soviel Angst … außerdem haben wir Geld gestohlen, das ist euch hoffentlich klar? Und jetzt hat dieser Verrückte zehn Millionen eingesackt! Zehn Millionen! Das ist ungerecht …«
    »Denk nicht dran.« Salviati zuckte mit den Schultern. »Gerecht ist, dass wir noch leben.«
    Contini fand die Stimmung immer noch seltsam. Sie saßen hier in diesem schicken Wohnzimmer wie Überlebende einer Katastrophe und suchten nach den richtigen Worten, um ohne bleibende Wunden aus allem herauszukommen. Aber irgendetwas schien noch im Dunkeln zu liegen, irgendetwas fehlte … genau, Francesca … wo war eigentlich Francesca? In den letzten Minuten hatte sie nichts mehr gesagt, und Contini bemerkte, dass sie nicht mehr im Zimmer war.
    »Wo ist Francesca?«, fragte er.
    »Sie holt etwas für mich«, sagte Salviati.
    »Aber was …«
    Contini unterbrach sich. Francesca kam durch die hintere Tür zurück ins Wohnzimmer. Mit einiger Mühe trug sie eine große Sporttasche unterm Arm. Eine schwarze Tasche.
    Niemand atmete. Ein paar Sekunden lang hörte Contini die Uhren ticken, übertönt von dem fernen Geräusch eines bremsenden Zuges. Dann stellte Francesca die Tasche in der Mitte des Wohnzimmerteppichs ab. Salviati legte die Pfeife beiseite und erhob sich. Er öffnete den Reißverschluss. In der Tasche erschienen stapelweise Banknoten.
    Bisher hatte keiner ein Wort gesprochen.
    Salviati sah einen nach dem andern an. Dann sagte er:
    »Mir war nicht danach, Forster das ganze Geld zu überlassen.«

23
Hinter verschlossener Tür
    Eine Sache ist es, vom Geld sprechen zu hören, eine andere dagegen, es zu sehen. Zehn Millionen Franken sind ein nahezu abstrakter Wert, solange man sie nicht auf einem Haufen in einer schwarzen Tasche sieht. Bündelweise Banknoten, Euro und Franken, ein Farbblitz, der dir im ersten Moment ein Gefühl ästhetischer Befriedigung gibt und dich dann wie eine Ohrfeige trifft.
    Zehn Millionen.
    Das ist kein Scherz.
    Zehn Millionen sind zehn Millionen. Alle drängten sich um die Tasche, während Salviati das Geld zeigte. Dann zog er den Reißverschluss zu, darauf bedacht, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, und sagte:
    »Wir werden der Bank das Geld zurückgeben, dann ist diese Geschichte endlich zu Ende.«
    »Aber …«, Anna räusperte sich, »aber dann hat Forster gar nichts!«
    »Er hat ein paar tausend Euro und Franken«, antwortete Salviati. »Die aus der Tasche Nummer zwei.«
    »Tasche Nummer zwei?«
    »Das ist eine etwas komplizierte Geschichte …«
    »Heißt das«, mischte sich Contini ein, »Forster wusste, dass du ihn in jedem Fall übers Ohr gehauen hast?«
    »Was hätte er tun sollen?«
    Anna wandte den Blick von der Tasche ab.
    »Aber jetzt wird er nach diesem Geld suchen«, rief sie. »Jetzt wird er zurückkehren …«
    »Immer mit der Ruhe!«, unterbrach sie Salviati. »Forster steht das Wasser bis zum Hals. Er wird noch ziemlich in Schwierigkeiten kommen, denn er schuldet einer Menge wenig vertrauenerweckender Leute Geld. Und wir haben dieses Geld nicht mehr. Ich werde es an einem sicheren Ort deponieren und Direktor Belloni anrufen.«
    »Um die Zeit ist er sicher wieder zu sich gekommen«, sagte Contini und deutete ein
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