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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin
Autoren: Ken Follett
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ideales Ziel der Resistance darstellte, erwiesen sich die Sicherheitsvorkehrungen nach Francks Einschätzung als äußerst lax. Vermutlich hing es damit zusammen, dass auch die Gestapo hier ein Büro unterhielt. In der Geheimen Staatspolizei gab es viele, die ihre Karriere weniger ihrer Intelligenz und ihren Fähigkeiten verdankten als ihrer nationalsozialistischen Gesinnung und Führertreue. Seit einer halben Stunde fotografierte Franck das Gelände – und sein Zorn auf die verantwortlichen Sicherheitskräfte, die von ihm einfach keine Notiz nahmen, wuchs und wuchs.
    Dann jedoch – gerade waren die Kirchenglocken verklungen – schritt ein Offizier in Majorsuniform durch das hohe schmiedeeiserne Tor, kam auf ihn zu und schrie in schlechtem Französisch: »Geben Sie mir sofort Ihre Kamera!«
    Dieter Franck wandte sich ab und tat so, als habe er nichts gehört.
    »Es ist streng verboten, das Chateau zu fotografieren, Sie Kretin!«, brüllte der Mann. »Sehen Sie denn nicht, dass es sich um eine militärische Einrichtung handelt?«
    Franck drehte sich langsam um und antwortete ruhig auf Deutsch: »Hat verdammt lange gedauert, bis Sie mich bemerkt haben.«
    Das saß. Zivilisten hatten normalerweise Angst vor der Gestapo. »Was wollen Sie damit sagen?«, fragte der Mann mit deutlich gebremster Aggressivität.
    Franck sah auf seine Uhr. »Ich bin seit zweiunddreißig Minuten hier. In dieser Zeit hätte ich Dutzende von Aufnahmen machen und längst wieder verschwinden können. Sind Sie hier für die Sicherheit verantwortlich?«
    »Wer sind Sie?«
    »Major Dieter Franck aus dem persönlichen Stab von Generalfeldmarschall Rommel.«
    »Franck?«, rief der Mann. »Ich erinnere mich...«
    Franck sah sich sein Gegenüber genauer an. Dann dämmerte es ihm. »Mein Gott«, sagte er. »Willi Weber.«
    »Sturmbannführer Weber , mit Verlaub.« Wie die meisten höheren Gestapo-Beamten verfügte auch Weber über einen Rang bei der SS, der seiner Meinung nach angesehener war als sein Dienstgrad bei der Polizei.
    »Mich laust der Affe«, sagte Franck und dachte: Kein Wunder, dass die Sicherheitsvorkehrungen hier zu wünschen übrig lassen.
    Weber und Franck waren beide in den Zwanzigerjahren in Köln in den Polizeidienst eingetreten. Franck erwies sich als Überflieger, Willi Weber als Versager. Weber neidete Franck den Erfolg und schrieb ihn dessen privilegierter Herkunft zu (so privilegiert war Franck gar nicht, aber für Weber, den Sohn eines Schauermanns, stellte es sich so dar).
    Willi Weber war schließlich entlassen worden, und jetzt fielen Dieter Franck die näheren Umstände wieder ein: Bei einem Verkehrsunfall hatte sich eine Gruppe von Schaulustigen versammelt. Weber war in Panik geraten und hatte einen Schuss abgefeuert; ein Gaffer war getötet worden.
    Seit fünfzehn Jahren hatte Franck den Mann nicht mehr gesehen. Aber er konnte sich gut vorstellen, wie sich dessen Karriere inzwischen entwickelt hatte: Eintritt in die NSDAP, freiwillige Einsätze im organisatorischen Bereich, Antrag auf Aufnahme in die Gestapo unter Hinweis auf seine Ausbildung bei der Polizei, rascher Aufstieg im Kreis der verbitterten Minderbegabten.
    »Was tun Sie hier?«, wollte Weber wissen.
    »Ich überprüfe im Auftrag des Generalfeldmarschalls die Sicherheitsvorkehrungen.«
    »Die sind in bester Ordnung«, fauchte Weber.
    »Für eine Wurstfabrik vielleicht. Sehen Sie sich das doch mal an.« Franck deutete auf den Stadtplatz. »Angenommen, diese Leute dort sind von der Resistance? Die schalten doch Ihre Wachen, wenn’s drauf ankommt, innerhalb von ein paar Sekunden aus.« Er machte Weber auf eine hoch gewachsene junge Frau aufmerksam, die über ihrem Kleid einen hellen Sommermantel trug. »Angenommen, die Frau da versteckt eine Waffe unter ihrem Mantel. Was tun Sie, wenn.?«
    Er unterbrach sich.
    Er spürte in diesem Augenblick, dass er nicht nur ein Fantasie Szenario beschrieb. Im Unterbewusstsein war ihm aufgefallen, dass sich einige Personen auf dem Platz zu einem Überfall formierten. Die kleine Blonde und ihr Mann hatten im Cafe Deckung gesucht. Die beiden Männer im Portal der Kirche standen hinter zwei Säulen. Die große junge Frau im Sommermantel, die eben noch die Auslage eines Geschäfts betrachtet hatte, hielt sich nun im Schatten von Francks Wagen auf. Als er sie ansah, klappte plötzlich ihr Mantel auf, und Franck musste entsetzt erkennen, dass seine Vision Prophezeiung gewesen war: Die Frau verbarg unter dem Mantel eine
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