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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin
Autoren: Ken Follett
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das Studium an den Nagel gehängt hatte und zur Polizei gegangen war. 1939 war Franck Abteilungsleiter bei der Kölner Kriminalpolizei. Als im Mai 1940 die Panzer des Generals Heinz Guderian bei Sedan die Meuse überquerten und in einem triumphalen Vormarsch innerhalb nur einer Woche bis zur Küste des Ärmelkanals vorstießen, bewarb er sich spontan um eine seinen Fähigkeiten entsprechende Aufgabe bei der Wehrmacht. Dank seiner Berufserfahrungen als Polizist wurde er sofort genommen und bei der Auslandsaufklärung eingesetzt. Er sprach fließend Französisch und hinreichend Englisch, weshalb man ihn unter anderem mit Vernehmungen von Gefangenen betraute. Er hatte ein Talent dafür, Informationen zu beschaffen, mit deren Hilfe Schlachten gewonnen werden konnten – das bereitete ihm eine tiefe innere Befriedigung. Seine erfolgreiche Arbeit war in Nordafrika sogar Rommel aufgefallen.
    Erwies es sich als notwendig, war Dieter Franck auch zu radikalen Mitteln bereit, wenngleich er lieber mit subtileren Methoden überzeugte, und auf diese Weise war er auch an Stephanie geraten. Die selbstsichere, sinnliche und kluge Frau hatte in Paris einen Laden besessen, in dem todschicke Damenhüte zu obszön hohen Preisen verkauft wurden. Wegen ihrer jüdischen Großmutter hatte sie jedoch den Laden verloren und bereits ein halbes Jahr in einem französischen Gefängnis zugebracht. Sie befand sich auf dem Weg in ein deutsches Konzentrationslager, als Franck sie rettete.
    Er hätte sie vergewaltigen können, und Stephanie hatte sicher auch damit gerechnet. Niemand hätte dagegen protestiert, geschweige denn den Täter bestraft. Doch Franck hatte ihr zu essen gegeben, sie neu eingekleidet und ihr das freie Schlafzimmer in seiner Wohnung überlassen. Er behandelte sie mit liebevoller Zuneigung, bis er sie eines Tages nach einem Abendessen mit foie de veau und einer Flasche La Tache auf der Couch vor einem prasselnden Kohlefeuer nach allen Regeln der Kunst verführte.
    Heute war Stephanie allerdings Teil seiner Tarnung. Er arbeitete wieder für Rommel, Generalfeldmarschall Erwin Rommel, den »Wüstenfuchs«, der mittlerweile als Oberbefehlshaber der Heere s- gruppe B für die Verteidigung Nordfrankreichs zuständig war. Die deutsche Aufklärung rechnete noch in diesem Sommer mit einer Invasion der Alliierten. Da Rommel nicht genügend Soldaten hatte, um die Hunderte von Kilometern lange, leicht verwundbare Küste zu schützen, verfolgte er eine riskante Strategie der flexiblen Reaktion: Seine Streitkräfte waren einige Kilometer weit hinter der Küste im Landesinnern stationiert und darauf eingerichtet, im Notfall sofort an die Brennpunkte des Geschehens verlegt zu werden.
    Den Engländern war das bekannt – auch sie hatten ihre Aufklärung. Ihre Antwort bestand darin, durch die Zerstörung der Infrastruktur die deutsche Reaktion zu verzögern. Tag und Nacht bombardierten britische und amerikanische Flugzeuge Eisenbahntrassen, Brücken, Tunnel, Bahnhöfe und Rangieranlagen, und die Resistance jagte Kraftwerke und Fabriken in die Luft, brachte Züge zum Entgleisen, kappte Telefonleitungen und schickte halbwüchsige Mädchen aus, Sand in die Öltanks von Panzern und Lastwagen zu schütten.
    Francks Aufgabe bestand darin, die wichtigsten potenziellen Ziele im Nachschub- und Etappenbereich zu erkennen und festzustellen, inwieweit sie durch Anschläge der Resistance gefährdet waren. In den vergangenen Monaten war er vom Hauptquartier in Paris aus kreuz und quer durch Nordfrankreich gereist, hatte müde Posten angebrüllt, schlafmützigen Hauptleuten die Hölle heiß gemacht und dafür gesorgt, dass die Sicherheitsvorkehrungen an Stellwerken, Lokschuppen, Fahrzeugparks und Kontrolltürmen auf Flugplätzen erheblich verstärkt wurden. Heute stattete er einer Fernmeldezentrale von überragender strategischer Bedeutung einen unangemeldeten
    Besuch ab. Sämtliche Telefonleitungen zwischen dem Oberkommando der Wehrmacht in Berlin und den deutschen Truppen im Norden Frankreichs liefen durch dieses Gebäude, darunter auch die Fernschreibverbindungen, jener Übertragungsweg, über den inzwischen die meisten Befehle erteilt wurden. Eine Zerstörung dieser Zentrale hätte das deutsche Nachrichtennetz zusammenbrechen lassen.
    Den Alliierten war dies offenbar bekannt. Mehrfach hatten sie versucht, das Gebäude zu bombardieren, doch das Glück war den Deutschen hold geblieben. Das galt auch für einen möglichen Anschlag. Denn obwohl das Schloss ein
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