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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin
Autoren: Ken Follett
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Kirche ging, besaß vielleicht kein
    Jackett. Inzwischen war der Herr Pfarrer im Bilde – wenigstens hoffte Flick das –, denn in diesem Augenblick, so war es geplant, sollten die zehn von ihren Sitzen aufspringen, ihre Waffen ziehen und durch das neue Loch in der Mauer auf das Schlossgelände stürmen.
    Und da waren sie auch schon. Stolz und Angst ließen Flicks Herz höher schlagen, als sie die Männer hinter der Kirche hervorkommen sah – eine bunt zusammengewürfelte Truppe mit alten Mützen und ausgetretenen Schuhen. Sie rannten über den Parkplatz auf den Haupteingang des Schlosses zu, ihre Füße stampften durch den Staub, ihre Hände umklammerten die Waffen – ein Sammelsurium aus Pistolen, Revolvern, Flinten. Sogar eine Maschinenpistole war dabei. Sie hatten noch keinen Schuss abgegeben, da sie vor Beginn des Angriffs so nahe wie möglich an das Gebäude heranwollten.
    Michel sah das gleiche Bild und gab ein Geräusch von sich, das irgendwo zwischen Grunzen und Seufzen anzusiedeln war. Flick spürte, dass ihn die gleichen Gefühle bewegten wie sie, die gleiche Mischung aus Stolz auf die Tapferkeit der Truppe und die Angst um das Leben jedes Einzelnen. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, die Wachen abzulenken. Michel hob sein Gewehr, ein Lee-Enfield No. 4 Mark I. Da viele dieser Waffen in Kanada hergestellt wurden, war es in der Resistance unter dem Namen »Canadian rifle« bekannt. Michel zielte, zog den Abzugshebel bis zum Druckpunkt und feuerte. Mit geübtem Griff entriegelte er das Schloss und schob es schnell wieder vor, sodass die Waffe sofort wieder schussbereit war.
    Der Gewehrschuss beendete die Schreckensstarre auf dem Platz. Einer der Wachsoldaten am Tor stieß einen Schrei aus und brach zusammen – ein Anblick, der Flick mit wilder Genugtuung erfüllte: Einer weniger, der auf unsere Kameraden schießen kann, dachte sie. Michels Schuss war das Zeichen für alle anderen, nun ihrerseits das Feuer zu eröffnen. Die beiden Schüsse, die der junge Bertrand vom Kirchenportal aus abgab, krachten wie Knallfrösche. Da die Distanz zu den Wachtposten für einen sicheren Pistolenschuss zu groß war, verfehlte er sein Ziel. Albert, der neben ihm stand, zog eine Handgranate ab und schleuderte sie hoch über den Zaun. Sie explodierte zwischen den Weinstöcken innerhalb des Schlossgeländes und wirbelte Äste und Blattwerk auf, blieb aber sonst wirkungslos. Flick hätte die beiden am liebsten vor Wut angebrüllt: »Hört auf mit der sinnlosen Knallerei, ihr verratet doch nur eure Position!« Doch zur Zurückhaltung nach Beginn eines Schusswechsels waren nur die Besten, perfekt ausgebildeten Soldaten imstande. Hinter dem Sportwagen eröffnete nun auch Genevieve das Feuer, und das ohrenbetäubende Rattern ihrer Sten-MP hallte über den Platz. Ihre Attacke war erfolgreicher: Ein zweiter Posten fiel.
    Jetzt endlich reagierten die Deutschen. Die Wachen gingen hinter den Steinsäulen in Deckung oder warfen sich flach auf den Boden und brachten ihre Gewehre in Anschlag. Der Gestapo-Major fingerte seine Pistole aus dem Holster. Die Rothaarige drehte sich um und rannte davon, doch ihre kessen Schuhe rutschten auf dem Kopfsteinpflaster, sodass sie stürzte. Ihr Begleiter warf sich auf sie und schützte sie mit seinem Körper – er ist also tatsächlich Soldat, dachte Flick, denn ein Zivilist dürfte kaum wissen, dass es sicherer ist, sich auf den Boden zu werfen anstatt davonzurennen.
    Die Wachen eröffneten das Feuer, und unmittelbar darauf wurde Albert getroffen. Flick sah, wie er taumelte, die Hand um seinen Hals gekrampft. Eine Handgranate, die er gerade hatte werfen wollen, fiel ihm aus der Hand. Dann erwischte ihn eine zweite Salve, diesmal genau in die Stirn. Wie ein Stein stürzte er zu Boden. Für einen Augenblick überfiel Flick tiefe Traurigkeit bei dem Gedanken, dass das heute früh auf die Welt gekommene Baby nun ohne Vater aufwachsen musste.
    Neben Albert sah Bertrand die Eierhandgranate über die altersschiefe Steintreppe des Kirchenportals kullern und versuchte sich mit einem Satz ins Innere des Gebäudes in Sicherheit zu bringen, als die Granate explodierte. Flick wartete, ob Bertrand wieder auftauchte, doch das war nicht der Fall. Sie wusste nicht, ob er tot, verwundet oder bloß benommen war. Die Ungewissheit war schwer zu ertragen.
    Der Stoßtrupp aus der Kirche hatte auf dem Parkplatz innegehalten und eröffnete nun das Feuer auf die letzten sechs Wachtposten. Die vier Soldaten in der Nähe des
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