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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin
Autoren: Ken Follett
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Die Ablenkung in einem entscheidenden Augenblick war absolut zum Verrücktwerden – doch Flick hatte gespürt, dass eine Weigerung erst recht zu Schwierigkeiten führen konnte, zumal sie sich als Einheimische ausgab, die gerade nichts Besseres zu tun hatte, als in einem Straßencafe herumzusitzen. Also hatte sie reagiert, wie die meisten Franzosen unter diesen Umständen reagiert hätten, und mit kühlem, unbeteiligtem Blick den Wunsch des Deutschen erfüllt.
    Es war eine geradezu absurde Szene: hinter der Kamera eine Agentin des britischen Geheimdiensts, vor ihr, sie anlächelnd, der deutsche Offizier mit seinem Flittchen, und als Geräuschkulisse die Kirchenglocken, die die letzten Sekunden vor der Bombenexplosion einläuteten. Der Offizier hatte sich schließlich bei ihr bedankt und gefragt, ob er sie zu einem Glas Wein einladen dürfe, was Flick strikt abgelehnt hatte: Eine junge Französin, die sich von einem Deutschen einladen ließ, musste darauf gefasst sein, als Besatzerflittchen bezeichnet zu werden. Der Deutsche hatte verständnisvoll genickt, worauf Flick zu ihrem Mann zurückgekehrt war.
    Der Offizier befand sich offensichtlich nicht im Dienst und trug anscheinend auch keine Waffe. Obwohl er also keine Gefahr darstellte, empfand Flick seine Gegenwart als beunruhigend und zerbrach sich in den letzten ruhigen Sekunden den Kopf darüber, was es mit dieser Unruhe auf sich haben mochte. Am Ende kam sie zu der Erkenntnis, dass sie einfach nicht glauben konnte, dass der Mann tatsächlich nur ein Tourist war. Sein Verhalten verriet hoch gespannte Wachsamkeit, und die passte nicht zu jemandem, der lediglich die Schönheit der historischen Architektur in sich aufnehmen wollte. Die Frau an seiner Seite mochte genau das sein, wofür man sie hielt – er aber war etwas anderes.
    Nur was? Ehe Flick sich weitere Gedanken darüber machen konnte, verklang der letzte Glockenschlag.
    Michel leerte sein Glas und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab.
    Flick und Michel erhoben sich. Ostentativ ruhig schlenderten sie auf den Eingang des Cafés zu, blieben in der Tür stehen und suchten auf diese Weise unauffällig Deckung.
    Dieter Franck war das Mädchen an dem Cafetisch im selben Moment aufgefallen, als der Wagen auf den Platz rollte. Schöne Frauen fielen ihm immer auf, und diese hier erkannte er sofort als reine Verkörperung der Erotik. Blassblond war sie und hatte hellgrüne Augen – und wahrscheinlich floss sogar deutsches Blut in ihren Adern, was hier im Nordosten Frankreichs, so nahe an der Grenze, nichts Ungewöhnliches gewesen wäre. Ihr kleiner, schlanker Körper war in ein sackartiges Kleid gehüllt, doch trug sie dazu ein lebhaft gelbes Halstuch aus billiger Baumwolle, das in seinen Augen ein bezaubernd französisches Stilgefühl verriet. Als er sie schließlich angesprochen hatte, war ihm jener Anflug von Furcht nicht entgangen, wie er für die meisten Franzosen typisch war, die von einem deutschen Besatzer angesprochen wurden, doch dann, unmittelbar danach, legte sich eine nur schlecht verhüllte Verachtung über ihre hübschen Züge, die sofort seine Neugier erweckte.
    Sie befand sich in Begleitung eines attraktiven Mannes, der kein besonderes Interesse an ihr zeigte – vermutlich war es ihr Ehemann. Nur weil er mit ihr ins Gespräch kommen wollte, hatte Franck sie gebeten, ihn mit Stephanie zusammen zu fotografieren. Daheim in Köln hatte er eine Frau und zwei niedliche Kinder, und in Paris teilte er seine Wohnung mit Stephanie, doch hinderte ihn das nicht daran, mit anderen Mädchen anzubandeln. Mit schönen Frauen verhielt es sich wie mit den großartigen Bildern der französischen Impressionisten, die er sammelte: Man konnte nicht genug von ihnen bekommen.
    Die Französinnen waren die schönsten Frauen der Welt. Aber in Frankreich war überhaupt alles schön: die Brücken, die Boulevards, die Möbel, sogar das Porzellan. Franck liebte die Pariser Nachtclubs, Champagner, Gänseleberpastete und warme Baguettes. Krawatten und Hemden kaufte er gerne bei Charvet, dem legendären chemisier gegenüber dem Ritz. Er hätte bis ans Ende seiner Tage glücklich und zufrieden in Paris leben können.
    Woher diese Vorliebe kam, wusste er nicht. Sein Vater war Professor für Musik – die einzige Kunst, in der die Deutschen und nicht die Franzosen die unbestrittenen Meister waren. Ihm jedoch war das trockene Akademikerleben des Vaters unerträglich langweilig vorgekommen, weshalb er zum Entsetzen seiner Eltern
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