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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin
Autoren: Ken Follett
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Informationen des MI6 stimmten, würden die Angreifer in der Überzahl sein.
    Felicity hegte trotzdem Bedenken. Düstere Ahnungen plagten sie. Sie hatte Antoinette von der Schätzung des MI6 erzählt. Antoinette hatte die Stirn gerunzelt und geantwortet: »Nach meinem Eindruck sind es mehr.« Michels Tante war nicht auf den Kopf gefallen. Ehedem Sekretärin des Champagnerproduzenten Joseph Laperriere, die ihre Stellung verloren hatte, als nach der deutschen Besetzung die Gewinne drastisch zurückgingen und die Frau des Chefs den Sekretärinnenposten übernahm, stand sie mit beiden Beinen im Leben. Gut möglich, dass sie mit ihrer Beobachtung Recht hatte.
    Michel war es nicht gelungen, den Widerspruch zwischen der MI6-Schätzung und Antoinettes Vermutung aufzuklären. Er lebte in Reims, und weder er selbst noch irgendein anderes Mitglied seiner Gruppe kannte sich in Sainte-Cecile aus. Für weitere Aufklärungsarbeit hatte die Zeit nicht gereicht. Wenn der Feind in Überzahl ist, sieht es schlecht aus für uns, dachte Felicity in banger Erwartung. Gegen disziplinierte deutsche Truppen haben wir kaum eine Chance.
    Sie sah hinaus auf den Platz, suchte die Mitkämpfer. Als harmlose Spaziergänger getarnt, waren sie darauf gefasst, in Kürze zu töten oder getötet zu werden. Vor dem Schaufenster eines Kurzwarenladens stand Genevieve, eine hoch gewachsene junge Frau von zwanzig Jahren, und betrachtete einen Ballen mattgrünen Stoffs. Unter ihrem leichten Sommermantel trug sie eine Sten-Maschinenpistole, die bei der Resistance sehr beliebt war, weil sie in drei Teile zerlegt und deshalb in kleinen Taschen transportiert werden konnte. Gut möglich, dass Genevieve jenes Mädchen war, auf das Michel ein Auge geworfen hatte... Dennoch schauderte Felicity bei dem Gedanken, dass die junge Frau in ein paar Sekunden von Kugeln durchsiebt werden könnte. Über das Kopfsteinpflaster des Platzes schlenderte Bertrand auf die Kirche zu. Mit seinen siebzehn Jahren war er noch jünger als Genevieve. Der blonde Junge mit der entschlossenen Miene trug eine zusammengefaltete Zeitung unter dem Arm, in der sich ein halbautomatischer Colt, Kaliber 45, verbarg. Die Alliierten hatten Tausende von Colts per Fallschirm abgeworfen. Wegen seiner Jugend hatte Flick Bertrand anfangs von der Teilnahme an dem Überfall ausgeschlossen, auf sein inständiges Bitten hin, und weil sie jeden verfügbaren Mann brauchten, dann aber doch nachgegeben. Sie hoffte, sein etwas prahlerisches jugendliches Draufgängertum würde nicht gleich nach dem ersten Schuss verfliegen. Am Kirchenportal lungerte Albert herum und tat so, als wolle er erst noch seine Zigarette zu Ende rauchen, bevor er hineinging. Alberts Frau hatte an diesem Morgen ihr erstes Kind geboren, ein Mädchen – ein zusätzlicher Grund für Albert, am Leben zu bleiben. Er trug einen Leinensack bei sich, der aussah, als wäre er mit Kartoffeln gefüllt. In Wirklichkeit handelte es sich jedoch um Handgranaten vom Typ Mills Nr. 36, Mark I.
    Alles auf dem Platz wirkte vollkommen normal – nur eines nicht: Neben der Kirche parkte ein sehr großer, starker Sportwagen. Es war ein in Frankreich gebauter Hispano-Suiza 68 bis mit einem V12-Flugzeugmotor, eines der schnellsten Autos der Welt. Der himmelblau lackierte Wagen hatte einen hohen, arrogant wirkenden silbernen Kühlergrill, auf dem als Markenzeichen der fliegende Storch prangte.
    Vor einer halben Stunde war er eingetroffen. Der Fahrer, ein gut aussehender Mann von etwa vierzig Jahren, trug einen eleganten Zivilanzug, musste aber ein deutscher Offizier sein. Niemand sonst hätte die Kühnheit besessen, mit einem solchen Fahrzeug zu protzen. Seine Begleiterin, eine große, auffallend schöne Rothaarige in einem grünen Seidenkleid und hochhackigen Wildlederschuhen, war derart perfekt nach der neuesten Mode gekleidet, dass sie nur Französin sein konnte. Der Mann hatte ein Stativ aufgestellt und fotografierte das Schloss. Die Frau trug einen trotzigen Blick zur Schau, als wisse sie, dass die ärmlich gekleideten Einwohner der Stadt, die sie auf dem Weg zur Kirche ungläubig anstarrten, sie in Gedanken als Hure beschimpften.
    Es war erst ein paar Minuten her, dass der Mann Flick einen furchtbaren Schreck eingejagt hatte, weil er sie bat, ihn und seine Freundin vor dem Hintergrund des Schlosses zu fotografieren. Er war sehr höflich gewesen, hatte aufmunternd gelächelt, und seinem Französisch war nur ein ganz leichter deutscher Akzent anzumerken gewesen.
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