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Die leise Stimme des Todes (German Edition)

Die leise Stimme des Todes (German Edition)

Titel: Die leise Stimme des Todes (German Edition)
Autoren: David Kenlock
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nickte.
    „Wann trifft das Herz ein?“, wollte Dr. Michael Kastner, der Anästhesist, wissen. Seine Frage war verständlich. Er musste den Patienten vorbereiten und so betäuben, dass der Eingriff problemlos durchgeführt werden konnte, aber die Narkose nicht zu lange dauerte und den Organismus des Operierten belastete. Sein Gesicht wirkte entspannt wie immer.
    „Zehn Uhr dreißig. Mit dem Hubschrauber aus Freiburg. Der Spender dort wird ab neun Uhr operiert.“
    „Was wissen wir über den Spender?“, fragte Dr. Jürgen Seefeld und fuhr sich durch sein schütteres Haar. Eine Geste, die Katherine schon oft an ihm beobachtet hatte. Es schien fast so, als müsse er ständig nachprüfen, dass es nicht weniger geworden war.
    „Außer den medizinischen Daten?“
    „Ja.“
    Katherine blätterte weiter. „Männlich. Zweiundzwanzig Jahre alt. Bei einem Motorradunfall verunglückt. Schwere Kopfverletzungen. Hirntod attestiert. Die Gewebetypisierung wurde bereits vorgenommen. Alle Gewebeverträglichkeitsmerkmale zeigen eine gute Übereinstimmung. EUROTRANSPLANT hat die Daten übermittelt. Der Spender ist ein Glückstreffer. Er ist vollkommen gesund, und es können entsprechend viele Organe explantiert werden.“
    Im günstigsten Fall wurden Spender regelrecht ausgeweidet. Alles, was verpflanzt werden konnte, wurde verpflanzt - von der Hornhaut der Augen über das Herz, die Bauchspeicheldrüse, die Leber, die Lunge, die Nieren bis hin zu den Gehörknöchelchen. Dabei legten die entnommenen Organe oft weite Strecken bis zu den Empfängern zurück. Sendungen innerhalb Europas waren nicht ungewöhnlich, da die Länder der EU ein Abkommen zur gegenseitigen Unterstützung getroffen hatten. In den letzten Jahren hatte die Organtransplantation gewaltige Fortschritte gemacht. Operationstechniken waren verbessert worden, die medizinische Auswertung der HLA-Übereinstimmung (Human Leucocyte Antigenes) war verfeinert worden, und durch die Entwicklung von Medikamenten wie Cyclosporin war das Risiko der Abstoßung der Fremdorgane auf ein Minimum gesenkt worden. So konnten bisher weltweit 300 000 Nieren transplantiert werden, von denen nach einem Jahr noch neunzig Prozent und nach fünf Jahren immerhin noch sechzig Prozent ihren Dienst versahen.
    Bei der Verpflanzung von Lebern lag die Erfolgsquote bei siebzig bis achtzig Prozent, und besonders bei Kindern wurden hervorragende Ergebnisse erzielt.
    Die Herztransplantation wies, seit es Professor Christiaan Barnard im Jahr 1967 in Südafrika zum ersten Mal gewagt hatte, dieses wichtigste aller Organe zu verpflanzen, eine Erfolgsquote von fünfundachtzig Prozent nach einem Jahr, bzw. fünfundsechzig Prozent nach fünf Jahren auf. Ähnlich gut waren die Zahlen bei der Transplantation von Lunge und Bauchspeicheldrüse.
    Katherine Tallet warf einen Blick in die Runde. In den Gesichtern ihres Teams entdeckte sie die gleiche konzentrierte Angespanntheit, die sie in sich selbst spürte. Für einen Moment wollten ihren Gedanken abgleiten, in private Sphären tauchen, aber sie rief sich sofort zu Ordnung. In ihrem Beruf ging es jeden Tag aufs Neue um Leben und Tod. Ihre Patienten hatten ein Recht darauf, dass sie sich durch nichts ablenken ließ, und inzwischen hatte Katherine gelernt, vor Operationen alles aus ihrem Kopf zu verdrängen, was nicht mit ihrer Arbeit zu tun hatte.
    Das Papier raschelte, als sie den Patientenordner schloss.
    „Okay, gehen wir es an!“
     
    Der Morgen hatte die angenehme Frische des Frühlings, die selbst die Autoabgase nicht verdrängen konnten. Ein feiner Geruch von Flieder lag in der Luft. Vögel sangen in den Büschen, an denen Mark vorbeiradelte. Hinter den Häusern stieg die helle Maisonne auf und wärmte seinen Rücken.
    Der Verkehr war heute dichter als sonst. Mark trat in die Pedale, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, aber ständig zwangen ihn rote Ampeln oder im Stau stehende Fahrzeuge zum Anhalten. Autofahrer blockierten ihm absichtlich den Weg, wenn sie ihn im Rückspiegel entdeckten, aber das war er gewohnt, und auch das ärgerliche Gehupe, wenn er sich zwischen den Fahrzeugkolonnen hindurchschlängelte, störte ihn längst nicht mehr.
    Schon jetzt war er eine Stunde zu spät. Dr. Wilbert Henrich, sein Abteilungsleiter, würde nicht gerade glücklich über diese Verspätung sein, zumal es nicht die erste in diesem Monat war. Henrich, ein untersetzter Mann mit Seehundschnauzbart, Übergewicht und permanent rotem Gesicht, das seinen Bluthochdruck
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