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Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)

Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)

Titel: Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
Autoren: Frank Demant
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angeregt. Herr Schweitzer war sehr zufrieden, und gen halb zehn gönnte auch er sich den ersten Schoppen. So weit er es überblikken konnte, waren alle bis auf seiner Halbschwester Ehemann erschienen. Das überraschte ihn aber nicht sonderlich, schon seit Monaten kriselte es zwischen Angie und Hans.
    Seine Weitsicht behufs seiner anfänglichen Alkoholversagungsphase erwies sich späterhin als clever durchdachter Schachzug. Auf dem Zenit des turbulenten Tobens und Treibens ließ sich nämlich das ein oder andere Prösterchen auf seine Gesundheit mittels Birnenschnaps nicht mehr umgehen.
    So wußte er also noch, wie er hieß und was hier gefeiert wurde, als kurz nach Mitternacht ein über alle Maßen fröhlichgelaunter Felix Melibocus erschien. „Glückwunsch, Alter. Auf die nächsten fünfzig. Hab dir auch was mitgebracht.“ Voller Stolz hielt der Redakteur eine unbeschriftete CD in die Höhe und schaute dabei so verschmitzt, als handelte es sich um einen Pornostreifen mit Benjamin von Stuckrad-Barre und Rosamunde Pilcher in den Hauptrollen – aus diametral entgegenlaufenden Gründen
beide
ohne großen Bock.
    „Danke. Da ist wohl der Bericht über Heidenbrück Junior drauf. Den werde ich mir gleich morgen angucken.“ Für Herrn Schweitzer gab es momentan Wichtigeres. Außerdem hatte er das Thema schon so gut wie abgehakt.
    „Nee, nee, mein Lieber. Brauchst gar nicht bis morgen warten. Hier, ich habe meinen Laptop dabei. Dauert ja nur fünf Minuten. Laß uns doch mal kurz nach nebenan verschwinden.“
    Nebenan war Helmuts Büro. Hier saßen nun das Geburtstagskind und der Redakteur des Weltruf genießenden, meinungsbildenden Sachsehäuser Käsblättches und schauten auf den Monitor.
    Tatsächlich war der Beitrag nicht länger als eine Minute. Im Rahmen einer Zeremonie überreichte Claude Heidenbrück Junior dem Vorsitzenden einer Stiftung für schwererziehbare Heimkinder einen Scheck in Höhe des fünfzigfachen – also zwei Millionen Euro – dessen, was sich die beiden als Obergrenze für ihre Erpressung ausgedacht hatten. Die Summe hatten sie deshalb so vergleichsweise niedrig gehalten, damit Heidenbrück Junior nicht auf den Gedanken kam, per schweineteuren und kompetenten Privatdetektiven nach den Absendern zu forschen. Herr Schweitzer nämlich sah sich nicht gerne hinter Gitter sitzen. Der Sprecher betonte, daß der diesjährige Scheck dank der positiven Ertragslage des Heidenbrückschen Lebensmittelkonzerns aufgestockt werden konnte. Und der sich schon seit Jahren im sozialen Bereich seiner Heimatgemeinde engagierende Herr Heidenbrück sagte, wie sehr er sich freue, wenn er sehe, mit welchen Erfolgen seine Stiftung seit Jahren aufwarte. Heimkinder seien nun mal die Schwächsten der Schwachen und hätten unsere besondere Aufmerksamkeit verdient. Publikumswirksam hielt er eines der zahlreichen Kinder auf seinem Arm und lächelte glückstrahlend in die Kamera. Eine überaus bewegende Abschlußszene.
    Anstatt nun stolz über das Gelingen ihrer leicht illegalen Aktion zu sein, empfand Herr Schweitzer nichts als Überdruß. Er war der Geschichte müde. Nichts hatten sie erreicht. Offensichtlich war Claude Heidenbrück nicht mehr das Arschloch von früher, als er noch Mitglied der NPD war, und obendrein schon seit Jahren ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, das seine beruflichen Beziehungen für soziale Zwecke nutzte. Und das Unterste nach oben gekehrt hatten sie auch nicht. Wenn überhaupt jemandem Respekt gezollt werden mußte, dann doch nur Esthers Großtante, die seinerzeit eine Menge Hebel in Bewegung gesetzt haben mußte, um an all die Unterlagen zu gelangen. Ja, damals, da hätte man noch etwas bewirken können. Aber heute, kein Hahn würde mehr nach einem toten Kriegsverbrecher krähen, selbst dann nicht, gäbe es diesen mit Unterschrift versehenen Brief von Claude Heidenbrück, einem der Handlanger des Frankfurter Judenreferenten Heinrich Baab, in der Tat noch. Das Dritte Reich war und würde auch für alle Zeiten jenseits seines Vorstellungsvermögens bleiben. Was ihm blieb, war die Genugtuung, vielleicht der Anstoß dafür gewesen zu sein, daß die süße Esther aus Berlin nun ihre wahre Familiengeschichte kannte. Verzweifelt ist nur, sagte sich Herr Schweitzer an dieser Stelle, wer zuviel erwartet hat. Und Verzweiflung war so ziemlich das letzte, was er jetzt brauchte. Ach ja, und noch etwas würde ihn die Geschichte gelehrt haben: Fliegen ist kinderleicht und Urlaub machen wunderschön.
    Felix
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