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Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)

Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)

Titel: Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
Autoren: Frank Demant
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Schweitzer, sich auch nicht vorstellen, daß ein zweiter Adolf hier noch ausreichend Nährboden fände, dazu sei man dann doch inzwischen zu international eingestellt, aber was die Propaganda angeht, da solle man doch nur mal die Wahlslogans unter die Lupe nehmen, da wisse man dann schon, wie viele hier nicht ganz richtig ticken. Daraufhin entgegnete Maria, sie könne es auch nicht ganz richtig einschätzen, ob wir nun die Regierung hätten, die wir verdienten, oder ob es schlicht und ergreifend keine Alternativen gäbe. Immerhin hätten wir jetzt aber mit Angela Merkel eine putzige Regierungschefin.
    So ging das noch eine Zeit lang, und Herrn Schweitzers Aversionen gegen seine Untermieterin gerieten mehr und mehr ins Hintertreffen. Von den Diskussionsteilnehmern unbemerkt hatte sich das Eichkatzerl inzwischen geleert, so daß es einiger nachdrücklicher Aufforderungen seitens Helmuts bedurfte, um die Runde zum Aufbruch zu bewegen. Man könne ja morgen wiederkommen. Da sei auch noch ein Tag.
    Da niemand mehr an das Spruchband dachte, wurde auch kein weiteres Öl in Herrn Schweitzers Feuer betreffs Lauras Rausschmiß gegossen. Es ging sogar so weit, daß er seiner Wohnungsgenossin ein Abschiedsküßchen verabreichte. Herr Schweitzer war halt doch ein Friedensengel, der nervige Auseinandersetzungen verabscheute. Leider mußte er sich auch von Esther verabschieden, die in aller Herrgottsfrühe den Zug nach Berlin nicht verpassen wollte. Sie sei weiterhin jederzeit in Frankfurt willkommen, flüsterte er ihr ins Ohr.
    Herr Schweitzer schulterte seinen Rucksack, nahm auch noch Marias Handgepäck und schlenderte mir ihr zur Bushaltestelle am Lokalbahnhof. Trotz der zwei gemeinsam verbrachten, aufregenden Wochen war er noch nicht bereit, von seiner Liebsten zu lassen.
    Gänzlich in Sachsenhausen angekommen war Herr Schweitzer auch am nächsten Morgen noch nicht. Noch immer geisterten die Eindrücke der ersten Auslandsreise durch seinen Kopf. Doch mag die Geschichte auch für den ein oder anderen Beteiligten zu Ende sein, für ihn war sie es mitnichten. Wäre da nicht der erfolglose Versuch des Herausgebers vom Sachsehäuser Käsblättche gewesen, diesen Kriegsverbrecher Heidenbrück zu entlarven, so hätte er sich jetzt zufrieden zurücklehnen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen können. Und wäre er nur ein klein wenig anders gestrickt, dann hätte er es auch getan. Hätte die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen und sich der Gegenwart zugewandt, die doch um so vieles angenehmer war. Doch Herr Schweitzer kannte sich ziemlich gut, und so wußte er, daß seine innere Ruhe erst dann wiederhergestellt war, wenn er die Idee, die ihm in Israel gekommen war, in die Tat umgesetzt haben würde. Ob von Erfolg gekrönt oder nicht, war ihm so egal wie ein Handkäs. Was zählte, war einzig und allein der Versuch. Der Ansatz, dem Großkonzern Heidenbrück eins auszuwischen, offenbarte sich natürlich in der Tatsache, daß der Firmengründer maßgeblich an der Frankfurter Judendeportation beteiligt war, obwohl der Beweis hierfür nicht mehr existierte. Aber definitiv wußten das nur wenige. Da aber das, was Herrn Schweitzer nun vorschwebte, in keiner Weise mit der Rechtsprechung harmonierte, er sich also auf äußerst gefährlichem Terrain bewegte, brauchte er einen Verbündeten. Und wer, wenn nicht Felix Melibocus, dieser Bruder im Geiste, kam hierfür besser in Betracht? Und sollte sich der Herausgeber wider Erwarten dafür entscheiden, die Sache auf sich beruhen zu lassen, dann würde auch er, Herr Schweitzer, einen Rückzieher machen. In schwachen Momenten erhoffte er es sich geradezu. Aber dann, so sagte er sich, wäre ich ja auch nicht besser als alle anderen, denen nichts lieber war als das Nihilieren der Großväter- und Väterverbrechen.
    Telefonisch verabredete er sich mit Melibocus für den Nachmittag.
    Der Herausgeber präsentierte sich in denkbar schlechtester Verfassung. Verquollene Augen und eine Stimme, als hätte er ein paar Brocken Kohle verschluckt, zeugten von einer durchzechten Nacht, die erst dann zu Ende gewesen sein mußte, als wirklich gar nichts mehr ging. Auf dem Boden des Redaktionszimmers verteilte Kleidungsstücke und eine angebrochene Flasche Lambrusco neben dem Sofa, auf dem Melibocus augenscheinlich die letzten Stunden verbracht hatte, legten hierfür beredtes Zeugnis ab.
    Herr Schweitzer war oft genug in solch horriblen Arrangements erwacht, um zu erahnen, wie sich Melibocus fühlte.
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