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Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)

Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)

Titel: Die Leiche am Eisernen Steg (German Edition)
Autoren: Frank Demant
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unterließ er es ebenfalls.
    Im letzten Raum war die Polizeiverwaltung untergebracht. Er mußte fünfzig Reichsmark zahlen, wofür, war ihm ein Rätsel. Auf seiner Kennkarte wurde
evakuiert
eingetragen. Es jagte ihm einen Schrecken ein. Bevor er darüber nachdenken konnte, befand er sich schon wieder draußen. Der Ton wurde schärfer. Unter Gebrüll und vereinzelten Schlägen wurden sie aus dem Ostflügel der Großmarkthalle geleitet.
    Litzmannstadt stand in Kreide auf dem ersten der zahlreichen Waggons.
    Trotz der Sonne wehte im Oktober 1941 ein kühler Wind.

    Wir schreiben das Jahr MMV.
    Im blütenweißen Feinripp der Firma Schiesser stand Herr Schweitzer vor dem Spiegel des Badezimmers. In einer Stunde war Klassentreffen, da wollte er sich natürlich von seiner Schokoladenseite zeigen. Zu diesem Behufe hatte er vor Wochen sogar mit einer ausgeklügelten Apfel-Orangen-Diät begonnen, die wirklich nur jeden zweiten Abend, und auch nur, weil ihn sein knurrender Magen am Einschlafen hinderte, von einer Familienpackung Chips sabotiert wurde. Der Grund für diese knallharte Abmagerungskur lag auf der Hand. Herrn Schweitzers Premiumjahre lagen nämlich schon Dekaden zurück, und beim letzten Aufeinandertreffen dieser Art war er wieder mal der Moppeligste gewesen, wenn auch andere ehemalige Klassenkameraden inzwischen ebenfalls ganz schön aus dem Leim gegangen waren, und sich die Distanz zum Fleischklops, wie er einst hundsgemeinerweise nicht gerade liebevoll tituliert wurde, bei vielen wohltuend verringert hatte. Herr Schweitzer mühte sich also redlich, heute saumäßig chic auszusehen. Keine Kosten hatte er gescheut, und das fleischwurstrosa Hemd, das er soeben zuknöpfte, war geradezu sündhaft teuer gewesen. Er begutachtete sich von der Seite und fand, es saß wie angegossen, auch wenn dazu verdammt viel an Material vonnöten war. Warum er sich dann aber für eine lindgrüne Cordhose entschied, wußte nur er alleine. Nicht nur, daß diese Farbenkombination weltweit eher selten vorkommt, nein, die Hose war auch noch zu lang, so daß ein fast fünf Zentimeter breiter Schlag entstand. Die beiden Frauen in seinem Leben, Maria, seine Freundin, und Laura, seine Mitbewohnerin, waren aus den unterschiedlichsten Gründen in eigenen Angelegenheiten unterwegs und konnten so fatalerweise bei der Kleiderfrage nicht korrigierend eingreifen, was mit Sicherheit auch geschehen wäre, wenn …, ja wenn ihnen auch nur ein Blick auf das Fiasko vergönnt gewesen wäre.
    Spätestens bei der zitronengelb gepunkteten blauen Fliege, mit der Herr Schweitzer sich zusätzlich schmückte, hätte es einen Aufschrei gegeben, der bis nach Hibbdebach zu hören gewesen wäre. Die hellbraunen schnürsenkellosen Lackschuhe, die noch folgten, trugen ihr übriges zum Gesamtkunstwerk Simon Schweitzer bei. Auch wenn er natürlich konträrer Meinung war, eine buntscheckige Abrißbirne hätte bei einer Modenschau besser abgeschnitten. Abschließend besprühte er sich noch mit einer Ladung Duftwasser namens Ladykiller, das er sich eigens für diesen Abend zugelegt hatte.
    Es war neunzehn Uhr, als der Menschheit durch und durch subjektive Zierde, Herr Schweitzer, seine Wohnung im Mittleren Hasenpfad verließ.
    Das Klassentreffen fand in einem erst kürzlich eröffneten Szeneladen auf der Schweizer Straße statt, für das sich der Ausschuß, dem Herr Schweitzer nicht angehörte, nach langem Hin und Her entschieden hatte. Der Standort war gut gewählt, lag er doch quasi um die Ecke des gemeinsam besuchten Gymnasiums. Soweit er es überblicken konnte, fehlten lediglich Beate Turolf, die es trotz Allerweltsgesicht und einer fast schon abartigen Menschenscheu bis zur Hauptrolle in einer Vorabendserie bei einem Privatsender gebracht hatte, Klaus-Peter Pächter, ein nichtssagender Langweiler, und Hänschen Müller. Letzterer aus triftigem Grunde, hatte er doch schon frühzeitig die höchste Form der Selbstkritik – Selbstmord – an sich verübt. Zur Beisetzung vor fast siebzehn Jahren war Herr Schweitzer trotz Einladung nicht erschienen. Er haßte solche humorlosen Veranstaltungen, und außerdem hatte er Hänschen schon damals nicht gemocht, obwohl dieser fast genauso pummelig wie er selbst war und ein Zweckbündnis der beiden eigentlich die logische Konsequenz hätte sein müssen. Der junge Herr Schweitzer wäre dazu durchaus willens gewesen, doch hatte ihm Hänschen in seinem widerlichen Geltungsdrang die kalte Schulter gezeigt. Daraufhin hatte er beschlossen,
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