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Die Legende unserer Väter - Roman

Titel: Die Legende unserer Väter - Roman
Autoren: dtv
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kleine Spießer im Schlafrock, der schweigsame Orchideenfreund, der stille Vater war ein Held.

    Seit frühester Kindheit schlief Lupuline nachts im milchigen Schein eines kleinen Plastikglobusses auf dem Regal. An diesem Abend kam gleich nach dem Gutenachtkuss ihrer Mutter der Vater zu ihr ins Zimmer. Das machte er sonst nie. Tescelin Beuzaboc war ein Mann der sparsamen Gesten. Beim Umarmen hielt er sich Menschen vom Leib, und seine Liebe äußerte sich höchstens in einem Blick. Er zog den kleinen Hocker in die Mitte des Zimmers und ließ sich im halbdunkel darauf nieder. Lupuline stützte die Ellbogen auf. Sie hatte keine Angst, ihr Vater lächelte ihr zu. Er sah sich inihrem Zimmer um, als entdeckte er es zum ersten Mal. Der kleine Globus, die Bücher im Regal, Kuscheltiere, die sie aus Gewohnheit behalten hatte, Familienbilder, ausgeschnittene Tierfotos, eine Radierung des Mondes, die nächtliche Stille. Lupulines Schreibtisch am Fenster hinter geschlossenen Vorhängen, das Bett an der Wand.
    »Mochtest du den Film?«, fragte er.
    Ja. Natürlich mochte sie ihn. Erst Pierre, dann auch seinen Vater. Den ganz besonders. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie nicht gleich begriffen hatte, dass er der Chef war. Weil sie ihn erst verabscheut hatte, den Orchideenzüchter.
    »Weißt du, dass ich auch in der Résistance war?«
    Tescelin beugte sich vor und stützte sich auf seine Schenkel. Lupuline setzte sich auf. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte er zu ihr nicht wie zu einem Kind gesprochen.
    »Hast du Deutsche getötet?«
    Er lachte. Aber er antwortete nicht. Stand auf. Es sei schon spät, sagte er, aber wenn sie wolle, würde er ihr morgen Abend davon erzählen. Ja, das wolle sie, rief sie so fröhlich und laut, dass er lächelnd einen Finger auf seine Lippen legte.
    »Mama mag es nicht, wenn ich diese Geschichten erzähle. Sie sagt, das ist vergangen und geht allen auf die Nerven.«
    »Mir geht es nicht auf die Nerven«, flüsterte Lupuline.
    Dann ging er hinaus, sie legte sich wieder hin. Und Pierre, Édouard und jetzt auch ihr Vater reichten ihr die Hand.

    Am nächsten Abend löschte Tescelin Beuzaboc das große Licht im Zimmer seiner Tochter und machte den kleinen Globus an. Er zog den Hocker in die Mitte ihres Zimmers. Lupuline lag auf dem Bauch, den Kopf in die Hände gestützt.Im seidigen Schein ihres Nachtlichts erzählte ihr Vater die Geschichte vom Friedhof von Annequin.
    Am Tag darauf kam er wieder und auch alle folgenden Tage, acht Monate lang. Erzählte und beobachtete seine Tochter wie während des Films. Ihr Erschrecken bei einer Wendung seines Satzes, ihr Lächeln, auch ihren Stolz. Am Ende versprach er immer eine Fortsetzung für den nächsten Abend. Manchmal wollte Lupuline eine Geschichte noch einmal hören. Noch einmal und genauso wie gestern.
    »Die Geschichte von Wimpy, Papa! Bitte!«
    Und Beuzaboc erzählte das Abenteuer noch einmal von Anfang an.
    Er sprach leise, während die Mutter weit entfernt in der Gegenwart vor sich hinsang. Manchmal stand er auf und trampelte mit den Absätzen auf den Boden,um die Stiefel der Feinde nachzumachen. Oder spuckte urplötzlich einen Pistolenschuss. Schleppte, im Dunkeln verborgen, ächzend Dynamit von der Wand zur Tür. Marschierte über Eisenbahnschwellen. Hielt mit einer Handbewegung eine Kugel auf. Transportierte Flugblätter. Fuhr Rad. Trickste die deutschen Schweine aus. Spielte mit seinen Händen, Blicken, weit ausgebreiteten Armen Krieg im milchigen Licht ihrer kleinen Welt.
    ***
    »Und immer gings um die Résistance?«
    »Immer. Es ging um Sabotage, englische Kampfflieger, seine Kameraden und den Tag im April ’44, als er am linken Bein verwundet wurde«, antwortete Lupuline.
    So sehe sie auch das Buch. Der Krieg, von ihrem Vater in der ersten Person erzählt, und als Einleitung würde sie von den Nächten in ihrem Zimmer berichten.
    »Wird Ihr Vater diese Idee akzeptieren?«
    »Ich will erst wissen, wie es geht.«
    »Was meinen Sie?«
    »Wie das im Einzelnen abläuft.«
    Ich treffe meine Klienten am liebsten bei ihnen zu Hause, sagte ich. Die Sitzungen dauern eine Stunde, nicht länger, sonst zerstreut Müdigkeit das Gedächtnis. Gleich anschließend, solange ich die Stimme noch im Ohr habe, arbeite ich in meinem Büro zwei Stunden an der Niederschrift.
    »Verlangen Sie einen Vorschuss?«
    Familienbiographien würden nie im Voraus bezahlt. Weil keiner wisse, wie viele Sitzungen nötig seien. Und wie es mit dem Schreiben klappe. Lupuline notierte
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