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Die Legende unserer Väter - Roman

Titel: Die Legende unserer Väter - Roman
Autoren: dtv
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ist verwirrt.«
    Ich freue mich immer über den ersten Satz in meinem Notizbuch. Oft hat er keine Bedeutung. Aber es ist eben der erste Satz, das Zögern auf der Schwelle, der Anfang von allem.
    »Verzeihen Sie, ich dachte, ich hätte das in meinem Brief schon erwähnt.«
    Lupuline fuhr sich mit der Hand durch ihren Pagenschnitt. Stellte die Tasche auf meinen Schreibtisch.
    »Mein Vater war Eisenbahner. Während der Besatzung hat er Widerstand geleistet. Mit zwanzig. Er hat ungeheure Gefahren auf sich genommen, aber nie darüber gesprochen.«
    Mir stockte der Atem. Ich holte tief Luft. Mein Vater betrat das Zimmer. Der stille kleine Mann mit dem verschwiegenen Blick.
    »Die Geschichte ist immer in der Familie geblieben. Jetzt möchte ich, dass sie niedergeschrieben wird.«
    »Um sie einem Verlag vorzuschlagen?«
    Lupuline lächelte mit geneigtem Kopf.
    »Nein. Um die Erinnerung weiterzugeben, wenn er von uns gegangen ist.«
    Ich machte mir Notizen. Zumindest tat ich so als ob. Die Worte verschwammen mir vor den Augen. Ich sah das Mädchenmit seinem Vater vor mir. Den stummen Riesen im Schein meiner Fackel. Und meinen Vater. Die beiden Männer. Meinen Vater auf der Straße, an der Spitze der Jungs. Ihren allein auf dem Gehsteig, erhobenen Hauptes. Ich weiß nicht, wie lange das Schweigen anhielt. Ich hob den Kopf. Lupulines Augen suchten meinen Blick.
    »Haben Sie mit Ihrem Vater darüber gesprochen?«
    »Noch nicht. Ich wollte erst wissen, wie Sie arbeiten.«
    »Warum ich?«
    Lupuline lächelte.
    »Wir sind uns schon einmal begegnet.«
    Ich nickte. Ich war mir nicht sicher gewesen, ob sie sich daran erinnerte.
    »Vor zwei Jahren, im ›Alouettes grises‹.«
    Ich war erleichtert. Sie erinnerte sich also nicht.
    »Sie haben in Seniorenclubs von Ihren Biographien erzählt. Als Sie ins ›Alouettes grises‹ kamen, war ich auch dort. Und dann habe ich Ihre Werbung in einem Wartezimmer gesehen und kam auf die Idee, meinem Vater so etwas zu schenken.«
    »Sind Sie Krankenschwester?«
    »Chirurgin.«
    »Verzeihung.«
    Amüsierter Blick. Sie hatte die Kappe ihres Füllers abgenommen.
    »Sagen Sie mir, wie Sie arbeiten?«
    Das tat ich, sie machte sich Notizen. Ich fragte sie, ob ich die Geschichte in der dritten Person, als Beobachter, schreiben solle oder lieber ihren Vater erzählen lassen und den Kommentator abgeben solle.
    »Das weiß ich nicht so genau«, antwortete sie.
    Ihr sei nur wichtig, dass ihr Vater mit mir spreche. Dass er sich mit mir treffe, dass es uns gelinge, eine vertrauensvolle Atmosphäre herzustellen, und er mir von seinem Leben im Untergrund erzähle, wie er es seiner Familie gegenüber getan habe.
    »Wollen Sie auch etwas beitragen?«
    »Ja, ich will ein Vorwort schreiben.«
    »Ein Vorwort?«
    »Ja, darüber, wie ich auf diese Idee kam.«
    ***
    Lupuline war zwölf, als Tescelin Beuzaboc seine erste Geschichte erzählte. Es war spät. Sie hatte von ihrer Mutter einen Gutenachtkuss bekommen und sich die Spuren von der Wange gewischt. Sie war nicht müde. Sie hatte gerade den Sonntagabendfilm gesehen, »Le Père tranquille« von René Clément.
    »Ist das ein Kriegsfilm?«, hatte die Mutter gefragt.
    Es gebe Dinge, hatte der Vater geantwortet, die man mit zwölf wissen müsse.
    »Dann lass ich euch«, hatte Zélie Beuzaboc mit einem lächeln erwidert.
    Sie hatte Besseres zu tun. Sie hatte immer Besseres zu tun als fernzusehen.

    Es war kein brutaler Film, sondern eine Fabel über das Heldentum. Er spielte in der von den Deutschen besetzten Charente.Manche kämpften im Verborgenen. Andere sahen weg. Édouard Martin war so ein Feigling. Seine Frau sagte »Herzchen« zu ihm, wenn er ins Bett kam. Morgens tauschte er seinen Schlafrock gegen einen Frostbeulenschal und einen Angsthasenmantel. Er züchtete Orchideen. Das war alles. Lupuline beschloss, ihn zu verabscheuen. Pierre Martin aber mochte sie, seinen Sohn, der bald das Haus verlassen und in den Untergrund gehen sollte.
    Beuzaboc beobachtete Lupuline während des Films. Wie sie zitterte, als eine deutsche Patrouille den lustigen Widerstandskämpfer kontrollierte. Wie sie lachte, als der Spaßvogel wieder sein Fahrrad bestieg und mit dem Mund furzte. Nie hatte es ihn so glücklich gemacht, seinem Kind zuzuschauen.
    Erst am Ende des Films bekam Pierre Martin den Chef seines Widerstandsnetzes zu Gesicht. Lupuline saß auf dem Boden, das Kinn in die Hände gestützt. Und sah mit offenem Mund, wie der junge Mann seinen Vater erkannte. Édouard Martin. Der
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