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Die Legende unserer Väter - Roman

Titel: Die Legende unserer Väter - Roman
Autoren: dtv
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Satz auf die linke: »Sie entfernen sich wieder.«

5
    Am 15. Juni 2003 kam Lupuline Beuzaboc in mein Büro. Sie trug rote Lackmokassins mit geknoteten Ledertrensen.
    »Mein Vater möchte Sie treffen.«
    »Wirklich?«
    Sie entschuldigte sich. Erklärte, warum sie so viele Wochen nichts von sich habe hören lassen. Ihr Vater habe die Idee mit der Biographie »Bauernfängerei« genannt. Wenn er ein Buch schreiben wolle, würde er es selbst tun. Er brauche keinen dahergelaufenen Schreiberling, um seine Erinnerungen zu Papier zu bringen.
    »Schreiberling?«
    »Das hat er gesagt«, antwortete Lupuline.
    Ein paar Tage danach habe er auch noch eine meiner Anzeigen in einer Gratiszeitung gesehen und sich darüber aufgeregt.
    »Welche?«
    »Die mit dem Nachruhm.«
    Der Text der Anzeige lautete: »Nicht nur Prominente haben das Privileg des Nachruhms. Das steht Ihnen genauso zu, und sei es nur für den Kreis Ihrer Lieben.« Ich war darauf nicht stolz, aber ich schämte mich auch nicht dafür. Lupuline erzählte, dass ihr Vater sie eisig und bleich gefragt habe,woher ihr plötzlicher Wunsch nach Privilegien und Nachruhm rühre. Das besudle das Totengedenken. Dann habe er die Zeitung zusammengeknüllt und auf den Tisch geworfen. Sie habe protestiert. Das sei doch eine schöne Idee, ein liebevolles Geschenk, sie habe auch von Familienerinnerungen und Stolz gesprochen. Aber ihr Vater sei einfach aus dem Zimmer gegangen.
    »Und jetzt will er mich treffen?«
    »Ja.«
    Ich holte das »Beuzaboc«-Buch aus dem Karton ganz oben im Regal und überflog den ersten Satz: »Sagt, sie ist verwirrt.« Und die flüchtigen Notizen vom letzten Herbst: Vater Eisenbahner, Widerstandskämpfer, hält nichts von Ehrungen. Lupulines Kinderzimmer, die Geschichten, die er ihr vor dem Einschlafen erzählt hatte, der leuchtende kleine Globus im Regal.
    »Wie hat er es Ihnen gesagt?«
    »Ganz einfach.«
    »Und zwar?«
    »Eigentlich will ich ihn doch treffen.«
    Ich notierte »Eigentlich« auf der rechten Seite. Und Lupulines Lächeln auf der linken.
    »Und woher dieser Meinungswechsel?«
    »Er hat seine Meinung nicht geändert. Er will es sich einfach mal anschauen.«
    »Was anschauen?«
    »Er ist neugierig auf Sie, glaube ich.«
    Ich war mir nicht sicher, ob ich zusagen sollte. Beuzaboc war schwierig, reserviert, feindselig. In eine Biographie einzusteigen ist eine ernste Sache. Das erste Treffen. Die Befangenheit.Die Aufregung. Der erste Blickkontakt. Die ersten Worte. Und was sollte ich ihm überhaupt sagen? »Durch mich geht Ihr Leben in die Geschichte ein«? Ich konnte seinen Blick, sein spöttisches Lächeln schon sehen. Sein Schweigen hören. Und das meines Vaters. Wie hätte denn Pierre Frémaux reagiert, wenn so ein Fremder dahergekommen wäre? Sie fragen mich nach
Vengeance
? Meinem Leben? Meinen Kämpfen? Meinen Freuden und Zweifeln? Mit welchem Recht? Mit welchem Recht, Herr Biograph? Ich habe die ganze Zeit den Mund gehalten. Warum sollte ich jetzt reden? Und warum gerade mit Ihnen?
    »Montag um 17 Uhr im ›3 Brasseurs‹, passt Ihnen das?«
    Lupuline hatte ihren Terminkalender aufgeschlagen. Ich schrieb »Beuzaboc« in mein Notizbuch und den Namen der Brasserie daneben. Sie werde auch da sein, um uns einander vorzustellen, sagte Lupuline. Und dann gehen. Sie nahm ein Scheckheft aus ihrer Tasche. Ich wehrte ab, für eine Verabredung bezahlt man nicht. Sie stand auf. Auf die linke Seite schrieb ich: »Sie trägt wieder rote Schuhe.«
    »Ich wäre so froh, wenn er mitmacht«, lächelte Lupuline und gab mir die Hand.
    ***
    Im Sitzen war Tescelin Beuzaboc noch imposanter als im Stehen. Er hatte seinen Mantel anbehalten. Beugte sich über den Tisch. Lupuline machte uns rasch bekannt. Höfliches Lächeln. Händedruck. Sie küsste ihren Vater auf die Schläfe, winkte mir zu und ging.
    Er bestellte ein dunkles Bier. Ich ein helles. Er musterte mich über seine Brille hinweg. Lange, geduldig, mit ruhigem Blick.
    »Sie schreiben also das Leben von einem anderen auf.«
    Seiner Stimme waren die Zeit, das Bier und der Rauch anzuhören.
    »Ich schreibe das Leben anderer auf.«
    »Warum?«
    Ich erinnere mich, dass ich lächelte. Seltsame Frage. Ich hatte eine Frage nach dem Wie erwartet, nicht nach dem Warum. Ich erzählte von meinem Beruf als Journalist, von den vielen Menschen, die ich traf und die ich kennenlernen wollte. Er schwieg und runzelte die Stirn wie einer, der hinhört, aber nicht richtig zuhört. Dann wandte er den Blick ab. Nickte. Auf seinen
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