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Die Legende der Wächter 6: Die Feuerprobe

Die Legende der Wächter 6: Die Feuerprobe

Titel: Die Legende der Wächter 6: Die Feuerprobe
Autoren: Kathryn Lasky
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verspäten. Hier im Norden wird es schon früh im Jahr Winter. Dann treiben die Fallwinde das Eis vor sich her, und wenn sich die Schollen in den Meeresarmen stauen, können wir uns nicht mehr orientieren. Dann sind wir ,Eisgefangene‘, wie es die Nordland-Eulen nennen.“ Der bildhafte Ausdruck schien Sorens Gefährten Respekt einzuflößen, denn sie wurden ganz still.
    Soren blickte zum Himmel empor. Dunkle Wolken schoben sich vor den Mond und warfen tanzende Schatten auf den weiß schimmernden Eisdolch. Sorens Magen erschauerte. „Der Mond steht im vollen Schein“, beschloss er seine Ansprache. „In vierzehn Nächten, wenn wir uns wiedersehen, ist er endgültig geschwunden.“ Er blickte seine Gefährten, die sich schon am Rand des Vorsprungs aufgereiht hatten, nacheinander an. „Glaux sei mit euch und viel Glück!“ Soren schlug einmal, zweimal mit den Flügeln und stieß sich ab. Eglantine, Digger und Morgengrau folgten ihm.
    Ezylrybs Kampfkrallen blitzten gleißend im Mondschein. Abermals hörte Soren den Kreischeulerich sagen: Die Krallen sind dein persönlicher Schlüssel zu den Nordlanden.
    Hoffentlich! , dachte Soren.

Ein Kreis aus weißen Bäumen

    „Puh! Hoffentlich muss ich die Alte nie wiedersehen!“, sagte Otulissa, als sie die Insel der Glaux-Schwestern verließen. Sie hatten Wamme bei der Oberin abgeliefert. Gylfie hatte sich von der Höhlenkäuzin verabschiedet, aber Wamme hatte sie nur ausdruckslos angestarrt. „Macht euch keine Sorgen!“, hatte die Oberin gemeint. „Bei uns ist sie gut aufgehoben.“
    Gylfie und Otulissa hatten sogleich sorgenvolle Mienen aufgesetzt, aber das war nur gespielt. Beide waren froh, dass diese erste Aufgabe erledigt war und sie sich wieder in den sternklaren Nachthimmel emporschwingen konnten.
    „Ich bin schon ganz gespannt auf die Glaux-Brüder“, sagte Otulissa. „Ist dir überhaupt klar, Gylfie, dass die Brüder die größte Bibliothek der ganzen Eulenheit besitzen?“
    „Na j a … das ist keine große Kunst. Schließlich gibt es überhaupt nur drei Bibliotheken: eine bei uns in Ga’Hoole, eine in Sankt Ägolius und eine bei den Glaux-Brüdern.“
    Otulissa war beleidigt. „Sei doch nicht immer so!“
    „Wie bin ich denn?“
    „Na, s o … so negativ.“
    „Ich bin nicht negativ, es ist mir nur ziemlich egal, was die Glaux-Brüder für eine großartige Bibliothek haben. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, so zu leben wie die Eulen hier im Norden.“
    „Heißt das, es hat dir in der Gästeunterkunft der Glaux-Schwestern nicht gefallen?“
    „Ich bin doch kein Höhlenkauz.“
    „Die Glaux-Schwestern sind auch keine Höhlenkäuze. Aber was bleibt ihnen anderes übrig? In diesem Landstrich gibt es nun mal keine vernünftigen Bäume.“
    „Das ist ja wohl glatt untertrieben! Ich kann mich kaum noch erinnern, wie ein Baum aussieht.“ Gylfie seufzte niedergeschlagen.
    „Hier wohnen vor allem Schnee-Eulen“, fuhr Otulissa fort. „Die sind es gewohnt, am Boden zu leben. Hab ich jedenfalls mal gelesen.“
    „Eine Schnee-Eule bin ich genauso wenig. Ich fand es bei den Schwestern furchtbar ungemütlich.“ Gylfie ließ den Blick über die kahle, eisbedeckte Landschaft unter sich schweifen. Ich habe Baumweh , dachte sie. Wann habe ich zuletzt auf einem Baum geschlafen? Gylfie hatte schreckliche Sehnsucht nach dem Großen Baum. Sie sehnte sich nach dem Knarren der sturmgepeitschten Äste, nach dem Rauschen der Ranken im Sommerwind, dem würzigen Holzgeruch an Regentagen und dem weichen Mooslager in ihrer Schlafhöhle, die sie mit Soren, Digger und Morgengrau teilte. Sie sehnte sich nach dem Ausblick aus dem Himmelsloch der Höhle, das einem sich unablässig wandelnden Gemälde glich. Bei Tag tänzelten Herden flauschiger Wölkchen über das Blau und bei Sonnenuntergang färbte sich der Himmel leuchtend rosarot. Dann glitten manchmal dickbauchige Wolken über den flammenden Hintergrund, die Gylfie an riesige, träge Wale erinnerten. Wie gern hätte sie dieses Schauspiel wieder einmal verfolgt! Dabei hatte sie ihre Kindheit doch gar nicht in einer Baumhöhle verbracht, sondern in einem hohlen, stachligen Wüstenkaktus. Aber das war schon so lange her, dass es ihr vorkam, als hätte sie es sich womöglich nur ausgedach t – ein Märchen von einer kleinen Elfenkäuzin, die glücklich und zufrieden mit Mutter und Vater in der Wüste Kuneer lebte.
    „Gylfie! Hörst du mir überhaupt zu?“, rief Otulissa ihr ins Federohr.
    „Entschuldige.“ Gylfies
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