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Die Legende der Wächter 6: Die Feuerprobe

Die Legende der Wächter 6: Die Feuerprobe

Titel: Die Legende der Wächter 6: Die Feuerprobe
Autoren: Kathryn Lasky
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alle Eulenvölker in Frieden und Eintracht leben können.“

Geisterschnäbel

    In den Schluchten von Sankt Ägolius saß in einer Felshöhle eine Eulenmutter und weinte, als sich ihr erstes Küken aus der Eierschale befreite. Der Mond zeigte eben erst wieder seinen hellen Saum.
    „Du bist bei Mondfinsternis geschlüpft, mein kleiner Schatz. Darum will ich dir den Namen geben, den alle männlichen Küken tragen, die zu dieser besonderen Stunde schlüpfen. Nyroc sollst du heißen und du sollst einmal so stark und tapfer werden wie dein Vater.“ Das Küken öffnete die verschwollenen Augen und schielte zu dem wunderschönen mondweißen Gesicht seiner Mutter hoch.
    Der Mond beschien auch die Insel Hoole im fernen Hoolemeer. Es war die letzte Nacht der kupferroten Zeit. Die weiße Zeit, in der sich die Beeren des Großen Ga’Hoole-Baums weiß färben, stand unmittelbar bevor. Gylfie und Soren unternahmen einen Ausflug ans andere Ende der Insel. Heute Nacht sollte nämlich eine Mondfinsternis stattfinden und die letzte Mondfinsternis im Herbst galt als die schönste von allen.
    Der Schatten der Erde kroch bereits gemächlich über die Mondscheibe, als die beiden Freunde auf einer hohen Tanne landeten. Es war die einzige Tanne auf der ganzen Insel. Sie erinnerte Soren an den Baum, in dem er mit seinen Eltern gelebt hatte. Der Ausflug war Gylfies Idee gewesen. Die Elfenkäuzin spürte, dass Soren immer noch tief verstört über den Tod seines Bruders war. Auch wenn ihm seine Freunde noch so oft versicherten, dass Kludd den Tod verdient hatt e – sie konnten Soren nicht beruhigen. Er sprach nicht darüber, aber ihn quälten finstere Gedanken. Überhaupt war er neuerdings sehr verschlossen. Mr s Plithiver hatte mehrmals den Versuch unternommen, mit ihm zu reden, aber Soren war nicht darauf eingegangen. Mit der Unternehmung wollte Gylfie ihren Freund auf andere Gedanken bringen.
    Nur ihr hatte Soren anvertraut, welcher Gedanke ihn am schlimmsten quälte: „Mama und Papa würden doch verstehen, dass Kludd sterben musste. Glaubst du nicht auch, Gylfie?“, hatte er immer wieder gefragt.
    „Bestimmt“, antwortete sie dann jedes Mal geduldig. Gerade eben stellte er wieder dieselbe Frage, da raschelte es hinter ihnen und Eglantine landete neben ihrem Bruder.
    Soren fragte überrascht: „Was willst du denn hier, Tinchen?“
    „Das Gleiche wie du. Die Mondfinsternis anschauen.“
    Soren bekam ein schlechtes Gewissen, weil er seine kleine Schwester gar nicht gefragt hatte, ob sie mitkommen wolle. Aber er war in den beiden Tagen nach ihrer Rückkehr einfach zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen.
    „Seht mal“, sagte Eglantine, „der Mond ist schon angebissen.“
    Die drei jungen Eulen beobachteten das Schauspiel schweigend. Der Mond leuchtete so golden, als hätte ihm die Sonne etwas von ihrem prächtigen Schein geborgt, ehe er sich gänzlich verdunkeln musste. Doch als er endgültig verschwunden war, glaubte Soren in der Dunkelheit etwas Helles, Verwischtes zu erkennen. Eine Nebelschwade vielleicht?
    „Schneit es?“, fragte Eglantine.
    „Wie kommst du denn darauf?“
    Eglantine blinzelte ein paarmal hintereinander, dann beugte sie sich vor und spähte in die Nacht hinaus. „Da ist doch was!“
    „Ich sehe nichts“, sagte Gylfie. „Schaut lieber nach oben! Der Schatten gibt den Mond wieder frei.“
    Doch die Geschwister schauten nicht zum Himmel empor, sondern spähten zu dem Hellen hinüber, das Soren für Nebel gehalten hatte und Eglantine für Schnee. Jetzt ballte sich der weißliche Dunst zusammen. Soren und Eglantine glaubten verschwommene Gestalten zu erkennen, so weich und flauschig wie die Dunen, die sich eine Eulenmutter aus dem Brustgefieder zupft, damit es ihr frisch geschlüpftes Küken schön weich hat.
    Nein, ich fürchte mich nicht , dachte Eglantine. Eine sonderbare Ruhe überkam sie.
    Warum solltest du dich auch fürchten, Schatz?
    Nanu! , dachte Eglantine. Alles ist still, aber ich habe eine Stimme gehört.
    Sie sind zu uns gekommen, Tinchen . Das war Soren, doch auch er sprach, ohne dabei den Schnabel aufzumachen. Eglantine drehte sich nach ihm um.
    Soren schaute sie nur an und sie begriff. Die Geisterschnäbel ihrer Eltern waren zurückgekehrt. Zwei verschwommene weiße Gestalten flogen über ihnen.
    Wir sind zurückgekehrt, geliebte Kinder.
    Bleibt ihr jetzt bei uns? , hörte Eglantine sich lautlos fragen.
    Dann vernahm sie Soren: Seid ihr hier, weil ihr noch eine Aufgabe zu erfüllen
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