Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung
Autoren: Kathryn Lasky
Vom Netzwerk:
war eine Ausnahme.“ Gylfie legte Soren die Flügelspitze auf die Schulter.
    Morgengrau hatte eine ganze Weile geschwiegen, jetzt ergriff er abermals das Wort. „Ich bin jedenfalls auf der Suche nach dem Großen Ga’Hoole-Baum und ihr beide könnt mich gern begleiten. Die Wüste Kuneer liegt nicht weit entfernt von unserer Flugroute, Gylfie. Ich teile zwar deine Befürchtungen, was deine Eltern betrifft, aber sicherheitshalber sollten wir doch lieber nachschauen. Wir können noch gleich heute Nacht hinfliegen.“
    „Das wäre vielleicht nicht schlecht.“
    „Sonst findest du nie deinen Seelenfrieden“, bekräftigte Morgengrau seinen Vorschlag.
    Frieden?, dachte Soren. Habe ich denn meinen Frieden gefunden? Ihm war, als bohrte sich ein Eissplitter in seinen Magen, als er begriff, dass die beiden Eulen, die ihn von allen Eulen der Welt am zärtlichsten geliebt hatten, fort waren, weit, weit, fort, und dass er noch längst keinen Frieden gefunden hatte.
    Sie vereinbarten, den restlichen Tag durchzuschlafen und den Wüstenflug erst nachts anzutreten. Wüstenflüge verlegte man sowieso möglichst auf die Nacht, sagte Morgengrau, am besten war es, wenn der Mond obendrein im Schwinden begriffen war. Soren war zu müde, um „Warum?“ zu fragen, zu müde, um sich eine von Morgengraus langatmigen Erklärungen anzuhören. Der Bartkauz schien tatsächlich eine Menge zu wissen, und er sprach auch gern darüber, wobei er stets kleine Schilderungen einflocht, wie er nur knapp einer Gefahr entronnen oder wie ihm seine überragende Klugheit aus einer Klemme geholfen hatte. An diesem Morgen war Soren einfach zu müde, um seinen Geschichten zu folgen. „Gut Licht“, sagte er schläfrig.
    „Gut Licht, Soren“, erwiderte Gylfie.
    „Gut Licht, Soren und Gylfie“, sagte Morgengrau.
    „Gut Licht, Morgengrau“, erwiderten Soren und Gylfie im Chor.
    Soren war im Nu eingeschlafen. Er fühlte sich in der Baumhöhle geborgen, auch wenn sie verlassen war. Es tat gut, den Kopf zum Schlafen unter den Flügel stecken zu dürfen.
    Da vernahm er plötzlich eine Stimm e – eine vertraute Stimme. Er erstarrte, konnte keinen Muskel mehr rühren. So musste es sein, wenn man die Flügelstarre hatte. Schlief er noch? War es ein Traum? Die Stimme gehörte Grimbel. Sie waren wieder in der Bibliothek des Sankt Äggie. Soren schlug verzweifelt mit den Flügeln. „Flieht! Nutzt die Gelegenheit“, hörte er Grimbel rufen. Dann ertönte ein grässlicher Schrei. „Nicht umdrehen! Nicht umdrehen!“ Aber sie hatten sich umgedreht.
    „Wacht auf, ihr beiden! Ihr habt schlecht geträumt. Wacht auf!“ Morgengrau rüttelte sie. Als Soren und Gylfie aufschraken, stand beiden das gleiche entsetzliche Bild vor Augen: der Anblick eines blutenden, tödlich verwundeten Raufußkauzes.
    „Das war Grimbel“, sagte Gylfie mit bebender Stimme. „Er ist tot.“
    „Ja, das war Grimbel. Wir haben dasselbe geträumt, Gylfie, abe r … abe r … aber es war bloß ein Traum. Grimbel kann genauso gut noch am Leben sein.“
    „Nein“, erwiderte Gylfie. „Nein. Ich wollte mich nicht umdrehen, aber dann habe ich doch kurz den Kopf gewandt und einen Blick auf ihn erhascht. Seine Flügel waren zerfetzt und sein Kopf war ganz verdreht.“ Ihre Stimme verhallte im ersten Dämmergrau der hereinbrechenden Nacht.
    „Warum hast du mir das verschwiegen?“
    „Wei l …“ Gylfie stockte. Es klang blöd, aber so war es nun mal gewesen. „Weil ich geflogen bin. Weil ich das erste Mal eine Luftblase unter den Flügeln gespürt habe, die mich trägt. Da wollte ich nur noch emporsteigen, höher und immer höher. Ich war nur noch Flügel un d …“
    Soren begriff, was sie meinte. Es war ganz und gar nicht blöd, sie waren einfach ihrem Instinkt gefolgt. Als Grimbel im Sterben gelegen hatte, hatten seine beiden Schützlinge ihre wahre Bestimmung entdeck t – das Fliegen.
    „Kopf hoch, ihr beiden“, sagte Morgengrau barsch. „Ich will nämlich beim ersten Dunkel los, und das kommt gleich. Die Nacht ist wie geschaffen für einen Abstecher nach Kuneer. Lasst euch gesagt sein, dass es nichts, aber auch gar nichts Schöneres gibt als einen Wüstenflug. Unterwegs könnt ihr übrigens auch gleich ein paar Jagdtechniken lernen. In Kuneer gibt’s superleckere Schlangen!“
    „Ich fresse keine Schlangen“, sagte Soren knapp.
    Morgengrau stieß einen unterdrückten Fluch aus. „Ach, Waschbärkacke!“ Der Schleiereulenjunge war auch noch wählerisch! Er riss sich zusammen und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher