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Die Kunst, nicht abzustumpfen

Die Kunst, nicht abzustumpfen

Titel: Die Kunst, nicht abzustumpfen
Autoren: Stephan Marks
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leben und wie wir leben wollen.« Das Nachrichtenmagazin beschreibt die Occupy-Bewegung (»We are the 99 percent«), die sich auf immer mehr US-Städte ausweitet, als »hypnotisch und stimulierend«, mit einer »Ernsthaftigkeit, die ansteckt« und einer »Energie, die begeistert.« Hier formt sich »das Bild einer sozialen, politischen, letztlich auch kulturellen Bewegung (…), die eine umfassende Kraft ausstrahlt« und »einen neuen Blick auf die Welt« eröffnet. Für manche der Beteiligten ist dies »eine Vision, wie das Leben völlig anders sein könnte«. (Diez 2011, 112 – 116)
    Für Kalle Lasn, einen der geistigen Paten dieser Bewegung, ist Occupy »nicht weniger als eine Metamorphose der Menschheit.« Dabei geht es darum, »dass wir aufhören mit toter Zeit zu leben. Zeit, die wir nicht selbst bestimmen, Zeit, die wir mit Jobs verschwenden, die uns nicht interessieren, Zeit, die von Wünschen verpestet ist, die nicht unsere sind. Es geht darum, dass wir überhaupt mal anfangen zu leben«, so Lasn (zit. in: Diez 2011, 115).

    Auch wenn naturgemäß nicht abzusehen ist, in welche Richtung sich diese Bewegungen weiterentwickeln und was sie bewirken können, so ist doch festzuhalten, dass sie sich plötzlich, unvorhergesehen, scheinbar aus dem Nichts herausbildeten. Bemerkenswert ist auch, dass in diesen Bewegungen Fragen und Hoffnungen aufgeworfen werden, die weit über den Horizont traditioneller Gewerkschafts- oder Parteipolitik hinausweisen. Hier wächst etwas Neues, vergleichbar mit einer Schwangerschaft.
    Metamorphose
    Abschließend möchte ich zeigen, dass es sich um eine ganz besondere Form von Schwangerschaft handelt. Ich komme zurück auf die eben zitierte Charakterisierung der Occupy-Bewegung als »Metamorphose der Menschheit« von Kalle Lasn. Auch der philippinische Soziologe und Umwelt-Aktivist Nicanor Perlas, Präsident des Center for Alternative Development Initiatives, verwendet dieses Bild. Der Träger des Alternativen Nobelpreises schildert die Verwandlung einer Raupe in einen Schmetterling: 10
    Nachdem die Raupe sich verpuppt hat, bilden sich die neuen Zellen des Schmetterlings (»imaginal cells«). Diese schwingen auf einer anderen Frequenz, »sie sind so total verschieden von den Zellen der verpuppten Raupe, dass deren Immunsystem sie als feindlich betrachtet und … vertilgt … Aber diese neuen Zellen fahren fort sich zu bilden, es werden immer mehr! Schon bald kann das Immunsystem der Puppe sie nicht mehr schnell genug zerstören. Mehr und mehr dieser Zellen überleben.
    Und dann passiert etwas Erstaunliches! Die winzigen kleinen vereinzelten Zellknospen klumpen zusammen in befreundeten kleinen Gruppen. Sie schwingen alle in der gleichen Fre-quenz
zusammen und tauschen Informationen untereinander aus. (…) Dann an einem bestimmten Punkt bemerkt die ganze lange Kette von Imago-Zellen plötzlich, dass sie etwas darstellt. Etwas, das sich von der verpuppten Raupe unterscheidet. Etwas Neues! Etwas Wunderbares! … und in diesem Gewahrwerden ist der Geburtsschrei des Schmetterlings enthalten! … Jede neue Schmetterlingszelle kann nun eine unterschiedliche Aufgabe übernehmen. Es gibt für jede etwas zu tun, und jede ist wichtig. Und jede Zelle fängt an, gerade das Bestimmte zu tun, wozu sie am meisten hingezogen wird. Und jede andere Zelle ermutigt sie, gerade das zu tun.« (Huddle zit. in: Perlas 2006)
     
    Nicanor Perlas betrachtet Menschen, die »wach werden für neue Möglichkeiten« als »imaginal cells« einer Gesellschaft. Im Verlauf von gesellschaftlichen Transformationsprozessen tragen sie den Samen der Zukunft mit sich. Sie sind »imaginal«, insofern sie in ihrem Wirken das Bild der Zukunft in sich haben. Von ihrer Umwelt werden sie zunächst als Abweichler und Störenfriede attackiert, da sie die Gewohnheiten der alten Gesellschaft (der Raupe) stören. Deren Auto-Immunsystem versucht, die Visionäre loszuwerden. Dennoch tauchen immer mehr »imaginale« Individuen auf, die sich für eine bessere Gesellschaft engagieren.
    Perlas ist sich darüber im Klaren, dass Verwandlungsprozesse in der menschlichen Welt nicht so quasi automatisch ablaufen wie die Metamorphose einer Raupe in einen Schmetterling. Diese Prozesse müssen vielmehr von den Menschen bewusst vollzogen werden. Gemeinsam ist beiden Prozessen jedoch, dass die Verwandlung im Frühstadium äußerlich nicht zu erkennen ist. Man sieht nur, dass die verpuppte Raupe sich zu einer Art Flüssigkeit sozusagen selbst verdaut
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