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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
Autoren: Richard David Precht
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zwar nicht bindend, hätten also keine legislative Gewalt. Doch es bedarf sehr guter Gründe von Seiten der Parteien, ihnen zu widersprechen, beziehungsweise ihre Umsetzung zu blockieren.
    Gegen Vorschläge dieser Art steht die Angst vor Experimenten. So als hätten die Väter und Mütter der bundesdeutschen Verfassung in den Jahren 1948 und 1949 ein völlig zeitloses Modell entwickelt, das in jeder Hinsicht für alle Zeiten optimal ist. Politischer Leerlauf und Blockade, Politikverdrossenheit und schwindende Wahlbeteiligungen, Ansehensverluste der politischen Klasse - alles das soll unsere Demokratie vertragen können, Änderungen hingegen nicht.
     
    Um unsere Demokratie in Bezug auf die langfristigen und zukünftigen Probleme der Gesellschaft fit zu machen, bedarf es Umbauten, die mehr Mitbestimmung und direkte Demokratie ermöglichen. Bisher bestehende »Pfadabhängigkeiten«, die den Umbau blockieren, müssen dabei durchbrochen werden. Dazu wären Elemente einer Konkordanzdemokratie vorstellbar, aber auch eine Direktwahl des Bundespräsidenten.
     
    Um Ideen zu grundlegenden Reformen unseres politischen Systems zu verbreiten, bedarf es der Massenmedien. Aber sind unsere Medien für eine solche Transformation überhaupt geeignet? Müssen sie nicht selbst transformiert werden? Und wenn ja, welche Medien und in welcher Hinsicht …?
     
    • Speakers’ Corner. Der Verlust der öffentlichen Verantwortung - und wie wir sie zurückgewinnen müssen

Nachwort
    Ich freue mich, dass Sie diesen großen Rundgang mit mir gegangen sind: von Platons Idee des Guten über die biologischen Ursprünge unserer Moralfähigkeit, die Belohnungsstrukturen des Gehirns, die Selbstbelohnungsideen des Aristoteles, über unser Schwarm- und Gruppenverhalten und unsere Vergleichsstandards bis zu den aktuellen moralischen Problemen der westlichen Gesellschaften heute.
    Dabei erscheint mir eines als das gemeinsame Merkmal: Menschen streben im Sozialen nach Anerkennung. Und sie sind in der Lage, sich selbst etwas Gutes zu tun, indem sie anderen Gutes tun. Wie und ob sie davon Gebrauch machen, ist weniger eine Frage höherer Einsichten und Prinzipien, sondern eine Frage des Umfeldes, das sie prägt und von dem sie sich prägen lassen. Erinnern wir uns an Edward Westermarck, der meinte: »Die Gesellschaft ist der Geburtsort des moralischen Bewusstseins.«
    Eine gute Gesellschaft ist eine, die, frei nach Aristoteles, möglichst vielen Menschen die größtmögliche Chance auf Anerkennung bietet, ohne anderen dabei zu schaden. Viele wichtige Probleme blieben dabei in diesem Buch unbeleuchtet: die Frage nach einer globalen Verteilungsgerechtigkeit, die Frage nach Gesundheit, Umwelt- und Tierschutz und vor allem die Fragen der Erziehung und der Bildung. Sie sind der Stoff für viele weiterführende Betrachtungen.
    Meine Gedanken zu Wirtschaft und Politik sind in erster Linie Vorschläge auf dem verminten Terrain bestehender Strukturen
und Systeme mit ihren Stärken und Schwächen. Nicht jeder von ihnen mag geteilt werden, ohne dass man an der grundsätzlichen Idee zweifeln muss: Wir brauchen mehr Verantwortung von oben und von unten. Ich wünsche mir keine grundsätzlich andere Demokratie, aber wir müssen die gegenwärtige verbessern, um nicht zuzusehen, wie sie weiterhin ihr eigenes Fundament untergräbt. Und wir brauchen dazu eine Wiederbelebung bürgerlicher Tugenden. Wir müssen wieder lernen, mehr individuelle Verantwortung zu übernehmen, und einen »sozialen Patriotismus« ausbilden, der vielen von uns verloren gegangen ist.
    Manchen mag diese Vision zu unrealistisch erscheinen und sogar naiv. In einigen sozialen Milieus unserer Gesellschaft ist ein solcher Wandel denkbar oder sogar bereits im Gange, in anderen dagegen bleibt er auf lange Sicht schwer vorstellbar. Doch mein Plädoyer ist nicht der Ausdruck einer falschen Romantik, die nicht sieht, wie es in den Trabantenstädten und Sozialghettos um unsere Gesellschaft bestellt ist. Sondern es entspringt aus einer Frage und Überlegung: Was passiert, wenn nichts passiert? Und wenn nicht diejenigen damit beginnen, die derzeit überhaupt dazu in der Lage sind?
    Denken wir dabei noch einmal an Schopenhauers Treppe. Wenn ein gesellschaftliches Problem entsteht, wird es zunächst verlacht, dann bekämpft, und am Ende gilt es als selbstverständlich. Auch die moralischen Probleme unserer Gesellschaft gehen über diese Treppe. Doch was wird am Ende selbstverständlich sein? Die
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