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Die Kunst engagierter Gelassenheit

Die Kunst engagierter Gelassenheit

Titel: Die Kunst engagierter Gelassenheit
Autoren: Lukas Niederberger
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fixen Plänen, Vorstellungen und Ideen. Verbissen und rechthaberisch, oftmals auch ideologisch verhärtet krallen sie sich an theologische Wahrheiten und Traditionen oder an soziale Theorien und reagieren ungelassen auf andere Meinungen. Der Grund für ideologische Fixierungen ist vermutlich eine tiefe Angst vor zu großer Vielfalt und Komplexität, die das Bedürfnis nach Sicherheit und Identität schmälert.
    Ängste, Ängste, Ängste
    Unsere Gelassenheit wird durch ein ganzes Konglomerat von Ängsten torpediert. Manche Ängste kennen wir, können sie benennen und sie im direkten Kontakt auch etwas in Schach halten und wandeln. Andere entziehen sich unserem Bewusstsein
und wirken darum umso unkalkulierbarer und heftiger. In jedem Menschen dominieren unterschiedliche Ängste.
    Zwei Ängste, die unsere Gelassenheit besonders hemmen oder verunmöglichen, sind die Existenzangst und die Angst vor Misserfolg und Versagen. Die Angst, irgendwann mal nicht mehr zu genügen und nicht würdig zu sein, kann Menschen bis zur Verzweiflung und zum Suizid führen. Daneben existiert eine ganze Palette von Ängsten, die uns mehr oder weniger dominieren und unsere Seelenruhe hemmen: die Angst, dass alles (auch Gott und Religion) Illusion sei; die Angst vor eigener und fremder Boshaftigkeit und Gewalt, die Angst vor Einsamkeit, Klimakatastrophen, Pandemien, Krieg, Terroranschlägen und Muslimen, die Angst vor Selbsthingabe, Arbeitslosigkeit, Alleinsein, Gott und Strafe, Angst vor sexuellem Versagen, vor Schwangerschaft und Elternschaft, vor Veränderung und Wandlung, vor Bindung, Nähe und Verbindlichkeit, vor Emotionalität und mangelnder Gefühlskontrolle, vor Verlust von lieben Personen und Trennung, vor Fremden, Autoritäten und vor dem Reisen im Flugzeug, Angst vor Spinnen, Mäusen, Schlangen, Hunden und Zahnärzten, vor TV-Krimis, vor Ausgeliefertsein, Amokläufern, Hilflosigkeit und Ohnmacht, vor Abhängigkeit oder dem Urteil anderer sowie vor dem Sterben und dem Tod.
    Wandeln können wir all diese Ängste nur, indem wir sie erkennen, bejahen und sie gleichzeitig in klare Schranken verweisen und ihre jeweiligen Gegenpole oder Gegenstimmen in uns aktivieren. Manchmal ist auch ein »agere contra« angesagt, indem ich bewusst über meinen Schatten springe und etwas tue, wovor ich mich eigentlich fürchte.
    Kritik und Rückschläge
    »Ungelassen bin ich, wenn ich das Gefühl habe, ungerechtfertigt kritisiert zu werden.« (Frau, 35 Jahre)
    Der souveräne und konstruktive Umgang mit Kritik ist nicht leicht, auch wenn in jeder Kritik irgendwo ein Körnchen Wahrheit liegt. Wenn wir sehr gut gelaunt sind, können wir Kritik locker entgegennehmen und sogar für die Lernmöglichkeit danken. Aber wenn wir genervt, dünnhäutig und müde sind und uns auf der Beziehungsebene mit dem Kritikaster ohnehin auf dünnem Eis bewegen, können wir mit Kritik, Rückschlägen und Widerständen nicht gelassen umgehen. Vor allem dann nicht, wenn uns die Schläge ungerechtfertigt und destruktiv erscheinen.
    Ich erhalte immer mal wieder Übungsmaterial für den Umgang mit Kritik. Da ich bis vor sieben Jahren einen Flüchtling illegal beherbergt hatte, hagelte es bei Bekanntwerden offene und anonyme Kritik in Verbindung mit Drohungen und Angriffen unter die Gürtellinie. Und auch in den letzten Wochen, als ich mich öffentlich gegen Waffen in Privatwohnungen engagierte, wurde ich übelst beschimpft, bedroht und zur Kündigung aufgefordert. Gerade bei massiver Kritik versuche ich jeweils zu differenzieren: Welcher Teil gehört tatsächlich zu mir und wo muss und darf ich den emotionalen Müll von Attacken zurückgeben?
    Mein väterlicher Freund Guido Zäch war in den letzten 40 Jahren als Pionier in der Rehabilitation von Paraplegikern der Zeit oftmals voraus und beschritt mit dem Bau einer immensen Klinik und eines Forschungszentrums visionäre
Wege. Da er sich sehr erfolgreich engagierte und auch politisch exponierte, zog er automatisch viele Neider und Gegner auf sich. Als ich ihn einmal auf die regelmäßige Kritik ansprach, sagte er mit ernster Miene: »Kritik ist für mich immer ein Zeichen, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Wenn ich einmal länger keine Kritik vernehme, wird mir unwohl und ich frage mich, ob ich vielleicht tatsächlich was falsch mache.«
    Pessimismus
    Ein lieber Freund ist Kulturpessimist und Apokalyptiker – eine Art Woody Allen wider Willen. Er sieht im kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bereich schnell Zeichen der
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