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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens
Autoren: Carlos Castaneda
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Möglichkeit der Befreiung gibt, und daher keine Möglichkeit, all den Schutt unseres Lebens abzutragen, um frei zu werden.«
    Don Juan wiederholte, wie recht sein Lehrer gehabt habe. Und ich wiederholte meine grundsätzliche Ablehnung. Meine Erziehung in einem bedrückenden religiösen Milieu, so sagte ich ihm, habe schlimme Folgen für mich gehabt, und seine Aussagen als Lehrer sowie seine eigene Unterwerfung unter seinen Lehrer erinnerten mich an den dogmatischen Gehorsam, den ich als Kind lernen musste und den ich verabscheute. »Wenn du vom Nagual sprichst, klingt es, als äußertest du einen religiösen Glaubenssatz«, sagte ich.
    »Glaube nur, was du willst«, antwortete Don Juan ungerührt. »Tatsache ist, daß es ohne den Nagual nichts zu gewinnen gibt. Das weiß ich, und das sage ich. Und das sagten alle Naguals. die mir vorausgegangen sind. Aber sie sagten es nicht aus einer Haltung des Eigendünkels, und ich auch nicht. Die Aussage, daß es keinen Weg ohne Nagual gibt, bezieht sich ausschließlich auf die Tatsache, daß die betreffende Person, der Nagual, ein Nagual ist, weil er das Abstrakte, den Geist besser reflektieren kann als andere. Das ist aber auch alles. Unsere Verbindung besteht mit dem Geist selbst, und nur nebenbei mit der Person, die uns dessen Botschaft bringt.«
    Dann lernte ich tatsächlich, Don Juan stillschweigend als Nagual zu vertrauen, und dies brachte mir, wie er gesagt hatte, eine ungeheure Befreiung und eine gesteigerte Fähigkeit, anzunehmen, was er mich zu lehren versuchte. Viel Nachdruck legte er bei seinen Lehren auf das Erklären und Erörtern des Montagepunktes. So fragte ich ihn einmal, ob der Montagepunkt etwas mit dem physischen Körper zu tun hätte.
    »Er hat nichts damit zu tun. was wir normalerweise als Körper wahrnehmen«, sagte er. »Er ist Teil der leuchtenden Eigestalt, das heißt, unserer Energie selbst.«
    »Auf welche Weise wird er verschoben?« fragte ich. »Durch Energieströme. Durch Stromstöße einer Energie, deren Ursprung außerhalb oder innerhalb unserer Energiegestalt liegen kann. Dies sind meist unvorhersehbare Ströme, die zufällig auftreten, aber bei Zauberern sind es höchst vorhersehbare Ströme, die der Absicht des Zauberers gehorchen.«
    »Kannst auch du diese Ströme fühlen?«
    »Jeder Zauberer kann es, ja jedes menschliche Wesen. Aber die Durchschnittsmenschen sind zu emsig mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, um auf solche Gefühle zu achten.«
    »Wie fühlen solche Ströme sich an?«
    »Wie ein leichtes Unbehagen, ein unbestimmtes Gefühl der Traurigkeit, unmittelbar gefolgt von einer Euphorie. Weil aber weder die Traurigkeit noch die Euphorie erklärbare Ursachen haben, betrachten wir sie niemals als authentische Angriffe des Unbekannten, sondern als unerklärliche, unbegründete Stimmungen.«
    »Was geschieht, wenn der Montagepunkt sich außerhalb der Energiegestalt bewegt? Schwebt er dort draußen? Oder ist er mit der leuchtenden Kugel verbunden?«
    »Er beult die Kontur der Energiegestalt aus. ohne deren energetische Grenzen aufzubrechen.«
    Das Endergebnis einer Bewegung des Montagepunkts, erklärte Don Juan, sei eine völlige Veränderung der Energiegestalt eines Menschen. Statt einer Kugel- oder einer Eiform nehme er das Aussehen etwa einer Pfeife an. Das Ende des Mundstücks bildet der Montagepunkt, und der Pfeifenkopf wäre das. was von der leuchtenden Kugel bleibe. Wenn der Montagepunkt sich weiterbewegt, kommt ein Augenblick, da die leuchtende Kugel zu einer dünnen Energielinie wird.
    Weiter erklärte Don Juan, die alten Zauberer wären die einzigen gewesen, denen diese großartige Verwandlung ihrer Energiegestalt gelang. Ich fragte ihn. ob diese Zauberer, in ihrer neuen Energiegestalt, noch Menschen gewesen wären?
    »Natürlich waren sie noch Menschen«, sagte er. »Aber mir scheint, du möchtest eigentlich wissen, ob sie noch vernunftbegabte Menschen waren, vertrauenswürdige Personen. Nun, nicht ganz.«
    »In welcher Hinsicht waren sie anders?«
    »In ihren Interessen. Menschliche Sorgen und Bestrebungen hatten für sie keinerlei Bedeutung mehr. Auch hatten sie definitiv ein neues Aussehen.«
    »Du meinst, sie sahen nicht mehr aus wie Menschen?«
    »Schwer zu sagen, wie es um diese Zauberer stand. Gewiß sahen sie noch aus wie Menschen. Wie hätten sie denn aussehen sollen? Aber sie waren nicht ganz das, was du und ich erwarten würden. Wenn ich sagen sollte, in welcher Hinsicht sie anders waren, müßte ich
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