Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Krieger 5 - Das Labyrinth der Götter

Die Krieger 5 - Das Labyrinth der Götter

Titel: Die Krieger 5 - Das Labyrinth der Götter
Autoren: Pierre Grimbert
Vom Netzwerk:
ausgiebig, bleckte kurz ihr Gebiss und begann dann mit geschmeidigen, wenn auch vor Überdruss schweren Schritten ihre tägliche Runde durch den Kessel.
    Es war schon sehr lange her, seit sie zuletzt ein anderes Lebewesen gesehen oder auch nur gewittert hatte. Selbst Steinböcke und andere Hochgebirgstiere hatten sich in den vergangenen Jahrhunderten immer seltener hierher verirrt und waren seit geraumer Zeit ganz ausgeblieben. Die Raubkatze, die viel größer und massiger war als alle anderen Tiere, die in diesen luftigen Höhen lebten, sehnte sich nach jenen fetten Jahren, als gelegentlich eines von ihnen den Halt verloren hatte und zu ihr in die Tiefe gerutscht war. Es war nicht der Hunger, der dieses schmerzliche Gefühl hervorrief: Ein leerer Magen machte ihr nichts aus, denn wie alle unsterblichen Wesen war sie nicht auf die Erfüllung körperlicher Bedürfnisse angewiesen. Doch sie war dankbar für alles, was ihr Zerstreuung bot, so nichtig der Anlass auch sein mochte. Wie alle Ewigen Wächter kannte die Raubkatze tagaus, tagein nur Langeweile, und das Einzige, womit sie ihrer begrenzten Welt entfliehen konnte, war der Schlaf.
    Irgendwo am Rande des Kessels machte sie Halt, setzte sich auf die Hinterbeine und betrachtete den Steinbogen, über den sie wachte. Dabei war seit über tausend Jahren kein Mensch mehr zu ihr hinaufgestiegen, und die Pforte hatte sich auch nicht mehr zur hellen oder dunklen Seite des Jal geöffnet. Auf diesem Weg traten keine neuen Götter mehr in die Welt der Sterblichen hinaus. Manchmal fragte sich die Kreatur, ob es überhaupt noch Menschen gab, die zu den Göttern und Dämonen beteten und sie damit am Leben erhielten. Früher hatten hier so viele gelebt, sogar in dem zerklüfteten Gebirge, das ihr Gefängnis umgab. Aber dann waren es immer weniger geworden, bis die Sterblichen schließlich aus dieser Region fortgezogen waren, die sie Jerusnien nannten. Oder war der Mensch vielleicht ganz vom Antlitz der Erde verschwunden?
    Ein solch einsames Dasein hätte wohl jedes Lebewesen in tiefste Verzweiflung gestürzt, doch die Ewigen Wächter folgten vor allem ihren Instinkten und kannten keine Gefühle. Wie ihre Artgenossen begnügte sich die Raubkatze damit, die ihr zugedachte Aufgabe zu erfüllen; der Wunsch nach Abwechslung war nichts als eine dumpfe Unruhe tief in ihrem Innern.
    Sie machte gerade mit hängendem Kopf kehrt, um sich wieder auf ihrem Lieblingsfelsen auszustrecken, als tatsächlich etwas geschah. Doch kaum hatte sie die Gegenwart eines anderen Wesens wahrgenommen, überstürzten sich die Ereignisse. Und so plötzlich, wie der Angriff über sie hereinbrach, so brutal war er auch.
    Aus dem Augenwinkel sah der Ewige Wächter, wie ein Schatten aus schwindelnder Höhe herabschoss. Der Letztgeborene des Kam hatte ihm einen Avatar geschickt, aber dass er gekommen war, um ihn zu töten, begriff der Wächter schon nicht mehr. Noch bevor er überhaupt das Maul aufreißen oder eine Tatze heben konnte, bohrten sich unzählige Krallen und Fangzähne in seinen unsterblichen Leib.
    Im nächsten Moment war es vorbei. Die Riesenraubkatze, der Ewige Wächter der vergessenen Pforte von Jerusnien, sank blutend auf den felsigen Grund, auf dem sie Tag für Tag ihre Kreise gezogen hatte. Dass sie ihr Gefängnis ein für alle Mal verließ, war ihr nicht mehr bewusst. Das Letzte, was sie sah, bevor sich ihre Augen für immer schlossen, war der Staub, den ihr röchelnder Atem aufwirbelte.
    Ihr feines Gehör hätte den dämonischen Schrei wohl nicht ertragen, mit dem ihr Mörder seinen Triumph in die Welt hinausschrie und der noch lange von den Berghängen dieser gottverlassenen Gegend widerhallte.
    *
    Mit einer einzigen Handbewegung hielt Nol der Seltsame uns davon ab, ihn mit Fragen zu bestürmen, und bedeutete uns, am Fuß der Pforte Platz zu nehmen. Ich weiß nicht, warum wir ihm ohne Widerrede gehorchten. Vermutlich standen wir noch unter dem Einfluss der sonderbaren Euphorie, die jeden erfasst, der die Gärten des Dara betritt. Oder wir erhofften uns eine schnellere Antwort auf unsere Fragen und akzeptierten dafür sogar, wie die Zinnsoldaten eines launischen Kindes herumkommandiert zu werden. Jedenfalls taten wir wie geheißen und wahrten ein dem Ernst der Lage angemessenes Schweigen.
    Nol schien nach den richtigen Worten zu suchen, was ihm, den man den Lehrenden nannte, gar nicht ähnlich sah. Schließlich gestand er uns, dass er selbst von den Ereignissen überrascht worden war. Er hatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher