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Die Krieger 5 - Das Labyrinth der Götter

Die Krieger 5 - Das Labyrinth der Götter

Titel: Die Krieger 5 - Das Labyrinth der Götter
Autoren: Pierre Grimbert
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seine Pfeile nur wahllos in die Menge geschickt, doch mittlerweile konnte er ihnen eine klare Richtung geben. Andererseits war es nahezu unmöglich, nicht ins Schwarze zu treffen, so dicht gedrängt standen die Reihen der Goroner. Pflichtbewusst befahl er seinen Schützen, auf die Träger von Leitern, Stangen und Enterhaken zu zielen – Gerätschaften, die sie selbst vor einigen Tagen beim Sturm auf die Stadt verwendet hatten. Unzählige Pfeile bohrten sich in Visiere oder durch zu dünne Rüstungen, doch für jeden Gegner, den sie töteten, rückten zwei neue nach. Unaufhaltsam marschierten die Goroner auf die kläglichen Stadtmauern zu.
    Plötzlich erschallte aus den Straßen der Stadt wildes Geschrei. Es kam von dem Mishra-Tempel, in dem sie die überlebenden Einwohner nach der Eroberung eingeschlossen hatten. Paulus wagte nur einen kurzen Blick über die Schulter, doch das genügte, um ihn kreidebleich werden zu lassen.
    Die goronischen Gefangenen hatten die Tore des Tempels aufgebrochen und warfen sich nun wie eine Meute hungriger Wölfe auf die Lorelier.
    Dem Kommandanten graute vor dem fürchterlichen Gemetzel, das sich in diesem Moment auf den Plätzen und Straßen der Stadt abspielte, doch als er einige Einheimische auf das schwere Stadttor zurennen sah, fasste er sich ein Herz. Er musste sie um jeden Preis aufhalten, selbst wenn das ihre Niederlage nur um wenige Dekanten hinauszögerte! Vielleicht kam ja doch noch unerwartet Verstärkung. Sie durften die Hoffnung nicht aufgeben, durften sich nicht von dem Wunsch überwältigen lassen, einfach in die Tiefe zu springen, um wenigstens eines raschen Todes zu sterben. Mit einem bitteren Geschmack im Mund befahl er seinen Männern, ihre Pfeile auf die Zivilisten zu richten.
    Während er selbst Pfeil um Pfeil abschoss, versuchte er, nicht daran zu denken, dass diese Menschen nur ihre Freiheit zurückwollten, dass sie Opfer und keine Täter waren. Er versuchte zu vergessen, wer in diesem Krieg zuerst gemeuchelt hatte. Doch einen Gedanken konnte er in diesem Moment nicht verdrängen: Königin Agenor hatte einen furchtbaren Fehler begangen. Ihre Entscheidung würde Tausende und Abertausende das Leben kosten. Nein, dieser Krieg gegen Goran war kein gerechter Feldzug. Selbst wenn das Kaiserreich tatsächlich hinter der Ermordung der lorelischen Thronfolger stand, war die Kriegserklärung reiner Selbstmord gewesen. Die Generäle hatten die Königin gewiss gewarnt, sie zur Besonnenheit ermahnt und ihr die allgemeine Mobilmachung auszureden versucht, aber offenbar war sie vor Trauer um ihren Bruder und dessen Kinder auf diesem Ohr taub gewesen. Und so mussten nun Hunderte Meilen von Lorelia entfernt zahllose Unschuldige sterben – auf beiden Seiten.
    Als er die ersten feindlichen Soldaten über die Zinnen klettern sah, wurde Paulus klar, dass er schon sehr bald für seine eigenen Verbrechen büßen würde. Mit zitternden Händen spannte er einen letzten Pfeil in den Bogen.
    *
    An jenem Tag hatte ich gerade meine Schüler aus dem Unterricht entlassen. Nicht einmal zwei Dezimen, nachdem sich die Kinder zurück auf den Weg ins nahe Dorf gemacht hatten, geschah es.
    Es war kurz vor Mittag, der dritte Dekant war längst angebrochen. Leti hatte unsere beiden Stallburschen nach Hause geschickt, wie üblich bis zum nächsten Morgen. Ich half ihr, die letzten Boxen im Stall zu verriegeln, dann schlenderten wir Hand in Hand über den Hof, erzählten von den Fortschritten unserer Schützlinge – Leti von ihren Fohlen, ich von den Kindern, denen ich Lesen und Schreiben beibrachte – und überlegten, was wir zu Mittag kochen sollten.
    Da blieben wir plötzlich beide wie angewurzelt stehen, geblendet von einem gleißenden Licht, das nur wenige Schritte vor uns aus dem Nichts aufgetaucht war. Ich hatte den Eindruck, eine Art Sonne vor mir zu haben, obwohl die Erscheinung keinerlei Hitze verströmte. Das kugelförmige Gebilde dehnte sich so rasend schnell aus, dass uns keine Zeit mehr blieb, zurückzuspringen.
    Ehe wir wussten, wie uns geschah, wurden wir von dem Licht erfasst und in sein Inneres gezogen, als hätten unsichtbare Arme uns gepackt. Wir konnten uns gegen diese rätselhafte Macht nicht wehren, und ich umklammerte Letis Hand, um nicht von ihr getrennt zu werden. Einen Wimpernschlag später war es vorbei: Die Sonne löste sich langsam auf und ließ uns wie betäubt zurück.
    Obwohl ich immer noch geblendet war, stellte ich fest, dass wir nicht mehr auf unserem Hof standen.
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