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Die Komplizin - Roman

Die Komplizin - Roman

Titel: Die Komplizin - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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größer und kräftiger gebaut als ich und wirkte dadurch wohl auch imposanter, doch soweit ich es beurteilen konnte, hing ihre Autorität nicht mit ihrem körperlichen Erscheinungsbild zusammen. Wobei ich sie noch nicht richtig in Aktion erlebt hatte, weil sich die Kinder bei mir nie übermäßig unartig aufführten. Im Grunde war ihnen das gar nicht möglich, denn in meinen Unterrichtsstunden wurde ja von ihnen erwartet , dass sie sangen, tanzten und herumtollten. Sonias Regiment hatte wenig mit Disziplin zu tun und erst recht nichts mit der Androhung von Strafen, auch wenn ihre Verachtung recht niederschmetternd sein konnte und sich ein bisschen so anfühlte, als würde einem jemand mit einer Lötlampe das Ego versengen. Nein, es lag einfach daran, dass sie so kompetent wirkte. Sie unterrichtete Chemie, weshalb man ihr natürlich zutraute, dass sie zwei Chemikalien zusammenschütten konnte, ohne die Schule in die Luft zu jagen. Man ging aber auch automatisch davon aus, dass sie sich darauf verstand, einen Wagen zu reparieren, einen Holzsplitter aus einem Finger zu entfernen oder eine Fliege zu binden, und außerdem wusste, wie man jenen seltsamsten aller Organismen handhabte  – einen Raum voller hormongesteuerter Teenager. Kurz vor Schuljahresende hatte sie ihre Bewerbung um den Posten der stellvertretenden Direktorin eingereicht. Obwohl sie fast noch ein wenig zu jung war, um eine solche Position zu bekleiden, rechnete ich fest damit, dass sie Erfolg haben würde: In Sonias Gegenwart fühlte man sich einfach sicherer.
    Deswegen lag es nahe, sich an sie zu wenden. Im Schulorchester
hatte ich sie als ziemlich schlechte Geigerin erlebt, wusste jedoch, dass sie singen konnte. Sie besaß ein gutes Gehör und eine angenehm rauchige Stimme. Zwar war sie nicht auf konventionelle Weise schön, hatte dafür aber etwas noch Besseres zu bieten: Präsenz. Wenn sie sich im Raum aufhielt, verspürte man den Wunsch, sie anzusehen, und wenn sie sich inmitten einer Gruppe befand, bemühte man sich automatisch darum, ihr zu gefallen. Sie strahlte Selbstbewusstsein aus, ohne arrogant zu wirken. Wenn sie in der Lage war, sich vor eine Schulklasse zu stellen, dann konnte sie auch auf einer Hochzeit ein paar alte Countrysongs zum Besten geben.
    Nachdem ich sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in meine Wohnung gelockt hatte, setzte ich ihr Chips und Weißwein vor und bat sie um ihre Meinung zu Farbmustern und Lampenfassungen. Natürlich wusste sie im Gegensatz zu mir sofort, was ihr gefiel und was nicht. Ich erkundigte mich beiläufig nach ihren Reiseplänen für den Sommer, worauf sie mir antwortete, dazu fehle ihr das Geld. Ich holte tief Luft.
     
    »Nein«, sagte sie, »auf keinen Fall.«
    Ich schenkte ihr nach.
    »Reizen würde es dich aber schon, oder?«
    »Allein schon die Idee ist absurd.«
    »Kannst du dir wirklich nicht vorstellen, wie Nina Simone oder Patsy Cline vor den Musikern auf der Bühne zu glänzen?«
    »Welchen Musikern?«
    Ja, dachte ich, sie wird es machen.
    »Bis jetzt beschränkt sich die Band noch auf mich«, antwortete ich, »zumindest habe ich sonst noch keine festen Zusagen.« Der Ehrlichkeit halber fügte ich hinzu: »Die ersten zwei Leute, an die ich herangetreten bin, haben gleich kategorisch abgelehnt.«

    »Wer war denn damals noch in der Band? Jemand, den ich kenne?«
    »Amos natürlich. So haben wir uns kennengelernt.«
    »Amos?« Bildete ich mir das ein, oder wurde Sonia tatsächlich rot? Rasch wandte ich den Blick ab, weil ich es gar nicht wirklich wissen wollte. Schon seit ein paar Wochen hatte ich den Verdacht, dass sie an ihm interessiert war. Warum verursachte das bei mir ein solches Gefühl von Panik? Schließlich waren beide ungebunden, sie würden niemanden hintergehen. Alle Beteiligten hatten sich höchst ehrenwert verhalten. Was für ein schrecklicher Gedanke, dass ich zwar einerseits nicht mehr mit Amos zusammen sein wollte, mir andererseits aber wünschte, dass er mir weiter nachweinte. Als Sonia wieder das Wort ergriff, klang ihre Stimme betont beiläufig. »Macht er bei der Sache mit?«
    Ich zögerte.
    »Ich hab ihn noch nicht gefragt.«
    »Wäre das für dich nicht unangenehm?«
    »Wieso sollte es? Wir haben uns doch in aller Freundschaft getrennt.«
    Sonia lächelte mich an. Der peinliche Moment war vorüber.
    »Man trennt sich nie in aller Freundschaft«, widersprach sie. »Trennungen sind Katastrophen  – oder verlaufen nur für einen von beiden in aller Freundschaft,
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