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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
Autoren: Marc Deckert
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Vielleicht fehlte mir nur Tom, dachte ich. Ohne ihn war es schwierig, den Kometen wirklich zu sehen.
    Als ich aufstand, rief ich Ulrich Holstein an und erzählte ihm von meinen Recherchen.
    » Du warst in einer Sternwarte?«, fragte er. Ich fand, er übertrieb es etwas mit der Verwunderung.
    »Sicher. Warum nicht?«
    »Aber was wollstest du da recherchieren?«
    »Die Grundlagen. Hast du schon mal durch ein Teleskop geschaut?«
    »Ja, in der Volkssternwarte. Jupiter, Venus und so …«
    »Und?«
    »Es war ziemlich lahm …«
    »Lahm?«
    »Im Vergleich zu den Fotos. Alles ist klein und weit weg. Und du kannst fast keine Farben sehen.«
    Vera verbrachte den Samstag bei ihren Eltern. Der Samstagabend war unser Abend, und sie hielt sich daran. Wir wollten einen Film im »Corso«, unserem Kleinstadtkino sehen, und weil wir zu früh dran waren, gingen wir am Lech spazieren, vom alten Salzspeicher in Richtung Zollhaus, und sahen dem Wasser zu, das weiß schäumend die Stufen des Wehrs hinabrauschte. Vera trug ihren engen hellroten Anorak, der ihr so gut stand. Gelegentlich durchzuckte sie ein leichter Schauer , und nachdem wir die gepflasterte Gasse mit ihren Sitzbänken und Ahornbäumen einmal auf und ab gegangen waren, schien sie zu frösteln und zog ihre Kapuze über den Kopf.
    Vera und ich waren seit vier Jahren ununterbrochen ein Paar. Zum ersten Mal geküsst hatten wir uns in der wirren Endphase eines Klassenausflugs nach Venedig. Danach hatte sie einige andere Freunde gehabt. Und dann wieder mich – was die Sache in gewisser Weise wie Schicksal aussehen ließ, als gäbe es zwischen uns ein unauflösbares Band. Manchmal fragte ich mich in jüngster Zeit aber doch, was genau sie an uns fand außer einer verlässlichen Schnittstelle zu ihrer Vergangenheit. Unsere Gesprächsthemen waren nicht mehr die selben. Ich schimpfte immer noch über die beschissenen Filme im »Corso« oder über die steigenden Getränkepreise im »Mahagony«. Vera schimpfte jetzt über ihre Professoren, ihre Kommilitonen und den Wissenschaftsbetrieb. Gerade schrieb sie intensiv an ihrer Doktorarbeit. Außerdem hatte sie eine halbe Stelle an einem Forschungsinstitut für Neuere Geschichte. Die Eifersüchteleien zwischen Historikern, die ich in ihren Erzählungen immer nur als abgefeimte und intrigante Zunft kennengelernt hatte, nahmen einigen Raum in unseren Gesprächen ein. Das heißt sie redete, und ich hörte zu. Manchmal versuchte ich, ihr etwas entgegenzusetzen und sie zu überraschen, zum Beispiel mit einer klugen Bemerkung über die Wissenschaft, die ich irgendwo aufgeschnappt hatte, aber ich merkte selbst, wie peinlich das war. Ich benahm mich dann wie ein Erstsemester im Doktorandenseminar. Und Vera stutzte mich gnadenlos zurecht.
    In letzter Zeit aber hatte ich noch eine Veränderung bemerkt. Nach außen hin wirkte sie fast wie eine Rückkehr unseres anfänglichen Glücks. An den Wochenenden, wenn Vera ihre Eltern und mich besuchte, oder an den Abenden nach einem Kinobesuch in der Stadt konnten wir stundenlang nebeneinander hergehen, in einer eigenartigen Vertrautheit, die sehr schön war, mir aber manchmal verdächtig vorkam wie ein Aufguss alter Zeiten. Es schien mir so, als könnte sie diesen Zustand akzeptieren, gerade weil wir nicht redeten.
    An diesem Samstagabend mussten wir nicht lange nach einem Gesprächsthema suchen. Ich erzählte ihr von meinen Erlebnissen der Vornacht. Das alles brachte Vera zum Lächeln. Schon die Tatsache, dass ich überhaupt in die Sternwarte gegangen war.
    »Ich kannte diese Seite gar nicht an dir.«
    »Es ist gar keine Seite von mir. Man kann doch mal etwas machen, ohne dass es gleich zu deinem Charakter wird, oder?«
    »Warum glaubst du, sehen sich Leute das an?«, fragte Vera.
    »Ich weiß nicht. Vielleicht weil es nichts mit ihrem Leben zu tun hat.«
    Sie lachte . »Das soll ein Grund sein?«
    Ich begann nun auch zu frösteln. Dass sie mir so viele Fragen stellte, war meine eigene Schuld. Ich konnte ihr ja selbst nicht erklären, was ich in der Sternwarte gewollt hatte. Aber wenigstens glaubte sie , an mir eine geheimnisvolle Seite entdeckt zu haben. Tom kam bedeutend schlechter weg. Was war von jemandem zu halten, dessen Hobbys Kometen und schnelles Autofahren waren? Vera schien ihn bereits in die Schublade weltfremder Freaks ohne geregeltes Sexualleben einsortiert zu haben. Und dann war da noch das Objekt selbst.
    »War der Komet schön?« , fragte sie mich.
    »Ja, er war sehr schön«, log ich der
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