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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie
Autoren: Chuck Palahniuk
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legt sich ins Gras, zieht das Hemd ein wenig hoch und lässt sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Sie schließt die Augen und lässt die Fingerspitzen einer Hand langsam um ihren Nabel kreisen.
    Risky bellt einmal, zweimal, dreimal. Und eine Stimme sagt: »Hey.«
    Über den Gartenzaun hat sich ein Kopf geschoben. Blonde Haare und rosa Pickel: Adam, ein Mitschüler. Aus der Zeit, bevor alle Schulen geschlossen wurden. Adams Finger umklammern die Zaunkante, und er zieht sich hoch, bis er beide Ellbogen darauf ablegen kann. Das Kinn auf den Händen, sagt Adam: »Hast du von der Freundin deines Bruders gehört?«
    Eve schließt die Augen und sagt: »Hört sich vielleicht komisch an, aber der Tod fehlt mir ...«
    Adam wuchtet ein Bein hoch und legt den Fuß auf den Zaun. Er sagt: »Sind deine Eltern schon ausgewandert?«
    Das Auto in der Garage beginnt zu stottern, ein Zylinder gerät aus dem Takt. Ein Ventrikel macht schlapp. In der Garagenluft hinter der Fensterscheibe wabern graue Rauchschwaden. Der Motor stottert noch einmal und verstummt. Drinnen bewegt sich nichts. Eves Familie ist nur noch ihr eigenes zurückgelassenes Gepäck.
    Eve fühlt ihre Haut in der Sonne straff und rot werden und sagt: »Der arme Larry.« Sie massiert immer noch ihren Bauchnabel.
    Risky läuft an den Zaun und schaut zu, wie Adam erst ein Bein und dann das andere über den Zaun schwingt, um schließlich mit einem Satz im Garten zu landen. Adam bückt sich und streichelt den Hund. Er krault ihn unterm Kinn und sagt: »Hast du ihnen erzählt, dass wir schwanger sind?«
    Und Eve sagt kein Wort. Und macht die Augen nicht auf.
    Adam sagt: »Wenn wir die Menschheit wieder zum Laufen bringen, werden unsere Alten ganz schön sauer sein ...«
    Die Sonne steht fast senkrecht. Was sich wie Autos anhört, ist bloß der Wind, der durch die leeren Straßen fegt.
    Materieller Besitz ist obsolet. Geld ist wertlos. Status ein Witz.
    Der Sommer dauerte noch drei Monate, und sie hatte endlose Vorräte an Dosennahrung. Falls sie nicht wegen ihrer Verweigerungshaltung von den Schwadronen der Auswanderungs-Hilfe erschossen wurde. Immerhin ist sie Zielkategorie 1. Ende.
    Eve macht die Augen auf und sieht den weißen Hund vor dem blauen Horizont. Der Morgenstern. Venus. »Wenn ich das Baby bekomme«, sagt sie, »hoffe ich, dass es Tracee ist.«

24
    Mr. Whittier führt Miss Rotz zur Tür. Zu der Tür in die Außenwelt. Die beiden Hand in Hand. Unsere Welt ohne Teufel, unsere Villa Diodati ohne ein Monster, dem man die Schuld geben kann. Er hat die Straßentür ein wenig aufgezogen, so weit, dass ein echter Sonnenstrahl von draußen hereinfallen kann. Das helle Draußen, das Gegenteil des dunklen Drinnen, in das wir bei unserer Ankunft kamen.
    Miss Rotz genau wie Cassandra Clark: die Braut von Mr. Whittier. Die eine, die er retten will.
    Die Glühbirne des Projektors ist ausgebrannt. Oder hat sich durch langen Gebrauch so überhitzt - immer ist ja etwas Dramatisches passiert, etwas Entsetzliches, etwas Aufregendes -, dass eine Sicherung durchgebrannt ist.
    Baronin Frostbeule schläft in ihrem Gewirr aus Lumpen und Spitze, ihr fettiger Mundrand murmelt. Auch Graf Schandmaul spricht im Schlaf, spult im Traum noch einmal die Szenen ab.
    Wir alle scheinen zu schlafen oder ohnmächtig zu sein oder im Wachen zu träumen und murmeln vor uns hin, das alles sei nicht unsere Schuld. Wir sind die Opfer. Das alles hat man uns angetan.
    Nur Sankt Prolaps und Mutter Natur flüstern aufgeregt miteinander. Er schielt ständig zu der offenen Tür und dem Lichtstrahl, der sich ins Haus ergießt. Schielt zu Mr. Whittier und Miss Rotz, deren schwarze Skelette im gleißenden Tageslicht beinahe zerfließen.
    Wir anderen zerfließen in unsere Kostüme, in den Teppich, in den Fußboden.
    Aus Mutter Natur kommt es wie von einer kaputten Schallplatte: »Haltet sie auf ... haltet sie auf ...«
    Als Happy End doch gar nicht übel, sagt Sankt Prolaps. Das junge Liebespaar geht dem Licht eines neuen Tages entgegen. Die beiden könnten Hilfe holen und die Gruppe retten. Sie könnten Opfer und Helden zugleich sein.
    Aber Mutter Natur flüstert immer nur: »Zu früh.« Sie mussten noch ein wenig warten. Da sie jünger sind, können sie es sich leisten, zu warten, bis noch ein paar mehr gestorben sind.
    Mutter Natur und Sankt Prolaps könnten den alten Whittier und die kranke Miss Rotz überleben.
    Wenn man sich uns Übrige so anschaut, könnte man wetten, dass Agent Plaudertasche und der
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