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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie
Autoren: Chuck Palahniuk
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Haus nebenan, wo die Frinks wohnten, war so eins. Und das Haus gegenüber.
    In den ersten Wochen war es noch ein Spaß: Larry ging in die Stadt und dröhnte mit seiner elektrischen Gitarre allein auf der Bühne des Civic Theaters herum. Eve betrachtete das komplette Einkaufszentrum als ihren privaten Vorratsschrank. Die Schule war aus und würde niemals mehr anfangen.
    Aber ihrem Vater war anzumerken, er hatte Tracee schon satt. Sobald die erste Verliebtheit verflogen war, wusste er nicht mehr weiter. Normalerweise hätte er jetzt angefangen, Tracee zu betrügen. Hätte sich im Büro eine Neue gesucht. Nun aber saß er nur noch vorm Fernseher und sah sich immer wieder das Venus-Video an, so konzentriert und aufmerksam, dass seine Nase fast den Bildschirm berührte, wo Leute zu erkennen waren, Scharen dieser schönen Menschen, die nackt aufeinander lagen oder Reigen tanzten. Sich Rotwein von den Leibern leckten. Und vögelten, ohne Angst vor Fortpflanzung, Krankheiten und Höllenstrafen.
    Tracee machte eine Liste der Berühmtheiten, mit denen sie sich anfreunden wollte, sobald die Familie dort eingetroffen war. Ganz oben auf der Liste stand Mutter Teresa.
    Unterdessen trieben auch geplagte Mütter ihre Kinder zusammen, keiften und zeterten, sie sollten verdammt noch mal endlich ihre vergiftete Milch trinken und die nächste Stufe der spirituellen Evolution erklimmen. Jetzt waren sogar Leben und Tod nur noch Phasen, die man schleunigst hinter sich bringen wollte, so wie Lehrer die Kinder von Klasse zu Klasse bis zum Schulabschluss hetzten, ganz gleich, wie viel sie lernten oder nicht. Eine einzige Hetzjagd zu Erleuchtung und Läuterung.
    Im Auto liest Tracee weiter vor, ihre Stimme tief und rau von den Auspuffgasen: »Wenn die Zellen der Herzklappen absterben, verlieren die beiden Herzkammern, die so genannten Ventrikel, allmählich an Kraft und pumpen immer weniger Blut in den Körper ...«
    Sie hustet und liest weiter: »Ohne Blut hört das Gehirn auf zu arbeiten. Und wenige Minuten später sind Sie ausgewandert.« Und Tracee klappt die Broschüre zu. Ende.
    Eves Vater sagt: »Leb wohl, Planet Erde.«
    Und Risky, der Boston-Terrier, kotzt einen Schwall Käse Popcorn auf die Rückbank.
    Der Gestank der Hundekotze und das Geräusch, mit dem Risky das Zeug auswürgt, sind noch schlimmer als das Kohlenmonoxid.
    Larry sieht seine Schwester an; das schwarze Make-up um seine Augen ist verschmiert, die Augen selbst blinzeln in Zeitlupe, und er sagt: »Eve, wenn dein Hund reihern muss, bring ihn raus.«
    Ihr Vater sagt, falls die Familie schon weg ist, wenn Eve zurückkommt, soll sie die Reiseausrüstung nehmen, die noch auf der Anrichte in der Küche liegt. Er schärft ihr ein, nicht herumzutrödeln. Sie würden auf der großen Party auf sie warten.
    Eves künftige Ex-Stiefmutter sagt: »Mach schnell die Tür zu, damit der Rauch nicht rausgeht.« Tracee sagt: »Ich will auswandern, nicht bloß einen Hirnschaden kriegen.«
    »Zu spät«, sagt Eve und zerrt den Hund nach draußen in den Garten. Dort scheint noch immer die Sonne. Vögel bauen Nester, sie sind dumm und wissen nicht, dass dieser Planet aus der Mode gekommen ist. Bienen krabbeln in den Rosenblüten herum und wissen nicht, dass ihre ganze Wirklichkeit obsolet geworden ist.
    Neben der Spüle liegt die Reiseausrüstung, ein Streifen Zyankali-Tabletten. Mit neuem Geschmack, Zitrone. Eine Familienpackung. Auf der Rückseite ist ein kleiner Comic aufgedruckt: Ein leerer Magen. Eine Uhr, die drei Minuten rückwärts zählt. Und schon wacht die Comic-Seele in der neuen glücklichen Umgebung auf. Der nächste Planet. Eine Evolutionsstufe weiter.
    Eve drückt eine raus, eine knallgelbe Tablette mit einem roten Smiley drauf. Ob die rote Farbe giftig ist oder nicht, spielt keine Rolle. Eve drückt alle Tabletten raus. Sie nimmt alle acht und spült sie ins Klo.
    Das Auto in der Garage läuft immer noch. Eve klettert auf einen Liegestuhl und sieht durch ein Fenster die hängenden Köpfe. Ihr Dad. Ihre künftige Ex-Stiefmutter. Ihr Bruder.
    Risky schnüffelt an dem Spalt unterm Garagentor, atmet die Dämpfe ein, die da herausquellen. Eve sagt: Nein. Sie ruft ihn vom Haus weg, zurück in die Sonne. Dort ist alles still, nur die Vögel singen, die Bienen summen. Der Garten macht jetzt schon einen ungepflegten Eindruck, der Rasen müsste gemäht werden. Ohne den Lärm der Rasenmäher und Flugzeuge und Motorräder klingt der Gesang der Vögel so laut wie früher der Verkehr.
    Eve
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