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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie
Autoren: Chuck Palahniuk
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geläutert waren.
    Und dann kam der Regierung der große Geistesblitz:
    Wenn die ganze Menschheit auf einen Schlag sterben würde, wäre eine Fortpflanzung nicht mehr möglich, und hier auf der Erde könnten keine Seelen mehr wiedergeboren werden.
    Wäre die Menschheit ausgestorben, kämen wir alle gleich auf die Venus, ob geläutert oder nicht.
    Aber ... wenn nur ein einziges Brutpaar zurückbliebe, könnte die Geburt eines Kindes eine Seele zurückrufen. Und eine Hand voll Leute könnte den ganzen Prozess noch einmal von vorn anfangen lassen.
    Bis vor wenigen Tagen konnte man im Fernsehen noch mitverfolgen, wie die Auswanderungsbewegung mit Leuten umsprang, die immer noch nicht mitmachen wollten. Man sah die rückständigen Populationen, die sich noch nicht bei der Bewegung eingetragen hatten, man sah, wie sie von weiß gekleideten Schwadronen der Auswanderungs-Hilfe mit weißen Maschinengewehren zum Auswandern gezwungen wurden. Kreischende Dörfer unter Bombenteppichen, die sie auf die Venus katapultieren sollten. Niemand wollte zulassen, dass ein Rudel bibelschwingender Hinterwäldler den Rest der Menschheit hier auf diesem schmutzigen alten Planeten Erde festhielt, wo wir doch alle die nächste Stufe unserer spirituellen Evolution schon vor Augen hatten. Also wurden die Hinterwäldler vergiftet, um sie zu erlösen. Die afrikanischen Wilden wurden mit Nervengas ausgerottet. Die chinesischen Massen mit Atombomben.
    Wir hatten ihnen Fluor und Bildung aufgezwungen, da konnten wir ihnen auch das Auswandern aufzwingen.
    Blieb nur ein einziges Hinterwäldlerpaar zurück, konnte man deren schmutziges, ungebildetes Baby werden. Wanderte nur eine Hand voll Reisbauern der Dritten Welt nicht aus, wurde man womöglich bei ihnen wiedergeboren - und musste sein kostbares Leben damit verbringen, unter der sengenden Sonne Asiens Fliegen totzuschlagen und ranzigen Brei mit Rattenscheiße zu essen.
    Und ja, klar, ein Risiko war schon dabei. Alle gemeinsam auf die Venus zu befördern. Aber nachdem der Tod jetzt tot war, hatte die Menschheit nichts mehr zu verlieren.
    Die Schlagzeile der letzten Ausgabe der New York Times lautete: »Der Tod ist tot.«
    USA Today formulierte das so: »Der Tod des Todes.«
    Der Tod war entlarvt. Wie der Weihnachtsmann. Oder der Osterhase.
    Jetzt blieb nur noch das Leben ... und plötzlich kam man sich vor, als säße man für immer ... alle Zeit ... alle Ewigkeit in der Falle.
    Larry und seine Rockerbraut Jessika hatten sich drücken wollen. Untertauchen. Der Tod war zum Mainstream geworden, und nun konnte ihre Rebellion nur noch darin bestehen, am Leben zu bleiben. Einen Haufen Kinder zu haben. Die spirituelle Evolution der gesamten Menschheit zu sabotieren. Jessikas Eltern sahen das freilich anders und rührten ihr kurzerhand Ameisengift in die Frühstücksmilch. Ende.
    Danach ging Larry täglich in die Stadt und holte sich Schmerztabletten aus den verlassenen Apotheken. Vicodin schlucken und Fenster einschlagen, sagte Larry, war ihm Läuterung genug. Er klaute Autos und fuhr in verlassenen Porzellanläden herum, und wenn er abends stoned nach Hause kam, hatten die geplatzten Airbags ihn von Kopf bis Fuß mit weißem Talkumpuder eingestäubt.
    Larry sagte, er wolle diese Welt ordentlich abnutzen, bevor er in die nächste umziehen müsse.
    Seine kleine Schwester Eve sagte, er solle endlich erwachsen werden. Sie sagte, Jessika sei nicht die letzte Gruftirockschlampe der Welt.
    Und Larry hatte sie nur stoned angesehen, sie in Zeitlupe angeblinzelt und gesagt: »Yeah, Eve. Jesse war schon ziemlich ...« Der arme Larry.
    Das war der Grund, warum Larry schulterzuckend gehorchte, als sein Vater ihm einzusteigen befahl. Risky im Arm, ihren Boston-Terrier, kletterte er auf den Rücksitz. Er machte sich nicht die Mühe, den Gurt anzulegen. Sie fuhren ja nirgendwo hin. Jedenfalls nicht körperlich.
    Das Ganze war das spirituelle New-Age-Äquivalent aller Allheilmittel, vom metrischen System bis zum Euro. Pockenimpfung ... Christentum ... Reflexzonentherapie ... Esperanto ...
    Und es hätte zu keinem besseren Zeitpunkt der Geschichte kommen können. Umweltverschmutzung, Überbevölkerung, Seuchen, Krieg, Korruption, sexuelle Perversion, Mord, Drogen ... Vielleicht war das alles nicht schlimmer als in der Vergangenheit, aber jetzt hatten wir das Fernsehen, das ständig daran herumnörgelte. Ständig daran erinnerte. Eine Kultur des Jammerns. Ewig wurde gemeckert ... Die meisten haben das nie zugegeben, aber sie
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