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Die Königsmacherin

Die Königsmacherin

Titel: Die Königsmacherin
Autoren: Martina Kempff
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er.
    »Dann geh in den Stall und stiehl einem Knecht Hemd, Beinkleider und einen Umhang! Laß ihm den Pelz da. Und beschaff dir Holzschuhe! Mach dich auch ein bißchen schmutzig. Das kann doch nicht so schwer sein!«
    Wider Willen mußte er leise kichern, als er sich wenige Stunden später mit der Königin aus der Abtei stahl.
    »Was tue ich, wenn man mich beim Stehlen erwischt, mich für einen entlaufenen Sklaven hält und wieder einmal in ein Kloster verbringt?« fragte er.
    »Dann sagst du, daß du im Auftrag des Königshauses unterwegs seiest, um dir Kenntnisse über die Lebensumstände des Volkes zu verschaffen.«
    Bertrada reichte ihm ein kleines Stück Pergament. »Aber das hier zeigst du nur im Notfall vor. Nicht etwa, um Essen zu erbetteln! Mal sehen, ob du noch anständig stehlen kannst!«
    »Manche der Bauern sind sehr arm …«
    »Stell dir vor, auch daran habe ich gedacht!«
    Sie blieb vor einer Fackel stehen, die in der Mauer eingelassen war, öffnete ein Säckchen und zeigte ihm den Inhalt. Teles starrte auf eine Vielzahl funkelnder Ringe.
    »Die brauche ich nicht mehr, wenn ich mit den Händen arbeiten werde. Und das habe ich vor. Du hinterlegst nach jedem Diebstahl einen Ring.«
    »Dann können wir das Essen ja gleich kaufen.«
    »Und uns nett mit den Bauern unterhalten? Nein danke!«
    »Aber der König, Euer Sohn …«
    »Der ist fern und lehrt die Sachsen wieder einmal das Fürchten.«
    »Man sagt, daß er sie diesmal endgültig unterwerfen wird.«
    »Manch einer sammelt Länder, ein anderer Eier von Höfen ein. Komm, Teles, das Schwierigste haben wir schon hinter uns. Wir haben das Abteigelände immerhin gänzlich unbemerkt verlassen!«
    Obwohl ihre Füße diesmal nicht mit Stoff umwickelt waren, sondern in recht bequemen Schuhen steckten, ahnte Bertrada, daß sie nicht so schnell vorankommen würde wie vor dreißig Jahren. Sie war froh, daß sie eine Nacht mit hellem Mondlicht für den Aufbruch gewählt hatte, und überlegte, ob es im Frühling nicht doch klüger sei, tagsüber zu gehen und nachts zu schlafen. Mit ihrem schlichten Kleid, dem Umhängetuch und dem Korb am Arm sah sie schließlich aus wie alle Frauen auf dem Lande. Und Teles konnte, zumindest auf den flüchtigen Blick, als der Bauer an ihrer Seite durchgehen. Betroffen gestand sie sich ein, daß der einstige Sklave in seiner armseligen Kleidung einen erheblich vornehmeren Eindruck machte als die Königin in ihrem einfachen Kleid.
    In den frühen Morgenstunden ragten die dunklen Schatten eines Gehöfts vor ihnen auf. Bertrada blieb stehen.
    »Ich habe Durst, Teles. Und Hunger.«
    Er seufzte und versuchte noch einmal sich zu drücken. Bertrada blieb hart. Tatsächlich kehrte er mit reicher Beute zurück. Um den Hals hing ihm eine Schnur mit Würsten, und in seinen Hanfsack hatte er Brot, ein paar verschrumpelte Äpfel und einen Laib Käse gesteckt. Der Lederschlauch war mit Bier gefüllt.
    »Es war furchtbar!« murrte er, aber um seine Lippen spielte ein sehr zufriedenes Lächeln.
    Am darauffolgenden Abend erreichten sie den Wald, in dem sich vor dreißig Jahren Bertradas Schicksal entschieden hatte. Nachdem sie am Fuß einer Eiche die von Teles aus einem Nest geholten Eier ausgeschlürft und dazu etwas Brot und Käse gegessen hatten, wickelte sich Bertrada in ihr Tuch ein und war schon kurz darauf eingeschlafen. Teles machte kein Auge zu.
    Der Geruch von gebratenem Fisch weckte Bertrada am nächsten Morgen. Teles reichte ihr eine verkohlte Forelle und einen Becher Wasser. »Ich habe ganz in der Nähe einen Bach entdeckt.«
    »Dem müssen wir folgen!« rief Bertrada, augenblicklich hellwach. Doch sie konnte nach all den Jahren weder die Stelle entdecken, wo sie damals hineingestiegen war, noch die Höhle der Muhme. Nachdenklich musterte sie eine Reihe struppiger Gewächse am Bachufer.
    »Was sind das für Sträucher?« fragte Teles.
    »Holunderbüsche. Davon gab es früher nur ganz wenige an diesem Bach. Ich suche einen ganz bestimmten, aber jetzt sehe ich so viele.«
    »Die Kinder der alten«, meinte er. »Die sind jetzt überall verstreut. Der alte Busch wird tot sein.«
    »Die ganze alte Zeit ist tot«, murmelte sie. Was hatte sie erwartet? Daß die Muhme noch in ihrer Höhle hauste? Daß irgend jemand wieder ›Kind‹ zu ihr sagen würde? Für die Rückkehr hatte sie sich außerdem die falsche Jahreszeit ausgesucht – der Wald bot jetzt nur wenig zum Leben, und der Boden war noch so hart wie damals, als sie ihren ersten Sohn
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