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Die Königin der Weißen Rose

Die Königin der Weißen Rose

Titel: Die Königin der Weißen Rose
Autoren: Philippa Gregory
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hat uns verziehen, aber man liebt uns nicht. Wir sind machtlos. Ich muss meine eigene Fürsprecherin sein und meine Sache einem Jungen erklären, der es sogar wagt, mit einer Armee gegen seinen eigenen Cousin zu ziehen, einen gekrönten und gesalbten König. Was sagt man zu solch einem Barbaren, damit er einen versteht?
    Meine Söhne, der neunjährige Thomas und der achtjährige Richard, tragen ihre besten Sachen, ihr Haar ist feucht und glatt gestrichen, ihre Gesichter glänzen sauber. Ich halte sie fest an den Händen, einen links, einen rechts, denn es sind richtige Jungen, die Schmutz anziehen wie von Zauberhand. Wenn ich sie nur eine Sekunde aus den Augen lasse, stößt der eine sich die Schuhe an, und der andere reißt sich ein Loch in die Hose, beide haben in Windeseile Laub im Haar und Dreck im Gesicht, und dann fällt Thomas bestimmt auch noch in den Bach. Jetzt, wo ich sie festhalte, hüpfen sie vor Langeweile von einem Fuß auf den anderen und stellen sich erst gerade hin, als ich sage: «Schsch, ich höre Pferde.»
    Zuerst klingt es wie Regenprasseln, doch schon einen Augenblick später wie Donnergrollen. Die klirrenden Geschirre und die knatternden Standarten, das Rasseln der Kettenhemden und das Schnauben der Pferde, der ganze Lärm und der Geruch von hundert Pferden, die scharf geritten werden, überwältigen mich schier, und obwohl ich fest entschlossen bin, vorzutreten und sie zum Halten zu bringen, schrecke ich unwillkürlich zurück. Wie muss es sein, diesen Männern entgegenzutreten, wenn sie mit vorgehaltenen Lanzen in die Schlacht stürmen wie eine galoppierende Speerfront? Wie bringt ein Mann so etwas fertig?
    Thomas sieht den unbedeckten blonden Kopf inmitten der Raserei und des Lärms und ruft, ganz der Junge, der er ist: «Hurra!», und beim Klang seiner hohen Stimme wendet der Mann den Kopf. Er sieht mich und die Jungen, zügelt sein Pferd und brüllt: «Halt!»
    So jäh zum Stehen gebracht, bäumt sein Pferd sich auf, und der Reiterzug schiebt sich ineinander, bevor er ganz zum Halten kommt. Die Männer fluchen über den unerwartetenHalt, dann herrscht plötzlich Stille, in der der aufgewirbelte Staub auf uns herabsinkt.
    Sein Pferd schnaubt, schüttelt die Mähne, doch der Reiter sitzt auf seinem hohen Rücken wie eine Statue. Er sieht mich an, ich sehe ihn an, und es ist so still, dass ich in den Ästen der Eiche über mir eine Drossel hören kann. Wie sie singt! Mein Gott, ihr Trällern gleicht einem Jubelgesang, einem Ausdruck reiner Freude. Ich habe noch nie einen Vogel so singen hören, als jubilierte er vor Glück.
    Ich trete vor, meine Söhne noch immer an den Händen haltend, und öffne den Mund, um meine Sache vorzubringen, doch in diesem Augenblick, dem entscheidenden Augenblick, fehlen mir die Worte. Ich habe eine kleine Rede vorbereitet und sie sorgfältig einstudiert, aber jetzt bekomme ich kein Wort heraus. Und fast ist es, als bräuchte ich keine Worte. Ich sehe ihn nur an, und irgendwie erwarte ich, dass er alles versteht: meine Angst vor der Zukunft und meine Hoffnungen für meine Söhne, dass ich kein Geld habe und dass mein Vater es mir mit seiner Gereiztheit und seinem Mitleid unerträglich macht, unter seinem Dach zu leben, wie kalt mein Bett in der Nacht ist, wie sehr ich mich nach einem weiteren Kind sehne, wie beklemmend das Gefühl ist, mein Leben wäre vorbei. Lieber Gott, ich bin erst siebenundzwanzig, meine Sache ist verloren, mein Gemahl ist tot. Werde ich eine der vielen armen Witwen sein, die den Rest ihrer Tage an einem fremden Feuer verbringen, verzweifelt bemüht, als Gast nicht zu viel Aufhebens um sich zu machen? Soll ich nie wieder geküsst werden? Soll ich nie wieder Freude empfinden? Nie wieder?
    Noch immer singt der Vogel, als wollte er sagen, Freude sei ein Leichtes für die, die sie suchen.
    Der König gibt dem älteren Mann an seiner Seite ein Zeichen, und der bellt einen Befehl, worauf die Soldatenihre Pferde von der Straße in den Schatten der Bäume lenken. Der König aber springt von seinem prächtigen Ross herunter, lässt die Zügel los und kommt auf mich und meine Jungen zu. Ich bin eine große Frau, doch er überragt mich um Haupteslänge; er muss größer als sechs Fuß sein. Meine Jungen recken die Hälse, um ihn besser zu sehen, für sie ist er ein Riese. Er hat blondes Haar, graue Augen und ein sonnengebräuntes Gesicht mit einem offenen Lächeln voller Charme, voller Anmut. Ein König, wie wir in England noch keinen gesehen haben:
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