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Die Königin der Weißen Rose

Die Königin der Weißen Rose

Titel: Die Königin der Weißen Rose
Autoren: Philippa Gregory
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hinauf in meine private Kammer, in der alle Kerzen brennen, das Feuer geschürt ist und Wein in Gläsern bereitsteht.
    Erst hier drehe ich mich um, setze mit zitternder Hand die Kerze ab und sehe den Jungen an, den mir Sir Edward Brampton gebracht hat. «Bist du’s? Bist du’s wirklich?», frage ich ihn.
    Er ist gewachsen, er reicht mir bis zur Schulter, aber mit seinen haselnussbraunen Augen und seinem blonden Haar, wie das seines Vaters, würde ich ihn überall wiedererkennen. Er hat noch sein vertrautes, schiefes Lächeln und eine jungenhafte Art, den Kopf zu halten. Als ich die Hand nach ihm ausstrecke, kommt er in meine Arme, als sei er noch immer mein kleiner Junge; mein zweiter Sohn, mein heißersehnter Sohn, der in Zeiten des Friedens und Wohlstands geboren wurde und immer gedacht hat, das Leben sei ein Kinderspiel.
    Ich schnuppere an ihm, wie eine Katze, die ihr verlorenes Junges wiederfindet. Seine Haut riecht wie immer, sein Haar nach einer fremden Pomade und seine Kleider nach Meerwasser, aber im Nacken und hinter den Ohren hat er noch immer den Geruch meines Jungen, meines Babys. Ich hätte ihn überall und unter allen Umständen als meinen Sohn erkannt.
    «Mein Junge», sage ich, und mein Herz geht auf vor Liebe. «Mein Junge», sage ich noch einmal. «Mein Richard.»
    Er fasst mich um die Taille und umarmt mich fest. «Ich bin auf Schiffen gereist, bin überall gewesen, und ich spreche drei Sprachen», sagt er gedämpft mit dem Gesicht an meiner Schulter.
    «Mein Junge.»
    «Jetzt ist es nicht mehr so schlimm. Am Anfang war alles so fremd. Ich habe Musik und Rhetorik gelernt. Ich kann ganz gut Laute spielen. Ich habe ein Lied für dich komponiert.»
    «Mein Junge.»
    «Sie nennen mich Piers. Auf Englisch Peter. Und als Spitznamen Peterchen.» Er löst seine Umarmung und sieht mir ins Gesicht. «Wie wirst du mich nennen?»
    Ich schüttele den Kopf. Ich bringe kein Wort heraus.
    «Deine Frau Mutter wird dich bis auf Weiteres Piers nennen», bestimmt Sir Edward vom Kamin her. «Deine frühere Stellung ist noch nicht ganz wiederhergestellt. Fürs Erste musst du deinen Namen aus Tournai behalten.»
    Er nickt. Ich erkenne, dass seine zweite Identität wie ein Mantel für ihn geworden ist, den er an- und abzulegen gelernt hat. Ich denke an den Mann, der mich dazu gezwungen hat, diesen kleinen Prinzen ins Exil zu schicken, ihn im Haus eines Schleusenwärters zu verstecken und ihn zu den Mönchen in die Schule zu schicken. Das werde ich ihm niemals verzeihen.
    «Ich lasse Euch allein», sagt Sir Edward taktvoll.
    Er geht in das Zimmer, das ich für ihn habe vorbereiten lassen, und ich setze mich ans Feuer. Mein Junge zieht einen Schemel heran und setzt sich neben mich. Ab und an lehnt er sich an meine Beine, sodass ich sein Haar streicheln kann, manchmal dreht er sich zu mir um, um mir etwas zu erklären. Wir sprechen über die Zeit, in der er fort war, was er gelernt hat. Sein Leben war nicht das einesköniglichen Prinzen, aber er hat eine gute Erziehung bekommen – darum hat Edwards Schwester Margaret sich gekümmert. Sie hat den Mönchen Geld für ein Stipendium für einen armen Jungen geschickt und bestimmt, er solle in Latein und Recht, Geschichte und Staatsführung unterrichtet werden. Sie hat mit ihm Erdkunde und die Grenzen der bekannten Welt studiert und auch – in Gedenken an meinen Bruder Anthony   – Arithmetik, hat ihm das Wissen der Araber vermittelt und die Philosophie der Antike.
    «Und wenn ich älter bin, sagt Ihre Gnaden, Herzogin Margaret, werde ich nach England zurückkommen und den Thron meines Vaters einnehmen», sagt mein Junge. «Sie sagt, es habe schon Männer gegeben, die länger gewartet hätten als ich und mit schlechteren Chancen. Sie sagt, sieh dir nur Henry Tudor an, der jetzt denkt, er hätte eine Chance, Henry Tudor, der aus England weglaufen musste, als er jünger war als ich, und der jetzt mit einer Armee zurückkommt!»
    «Er hat sein ganzes Leben im Exil verbracht. Bete zu Gott, dass du dieses Schicksal nicht teilst.»
    «Werden wir die Schlacht sehen?», fragt er eifrig.
    Ich lächle. «Nein, ein Schlachtfeld ist nicht der rechte Ort für einen Jungen. Aber wenn Richard gewinnt und nach London marschiert, werden wir dort zu ihm und zu deinen Schwestern stoßen.»
    «Und dann kann ich nach Hause zurückkehren? Gehe ich wieder an den Hof? Und bleibe ich immer mit dir zusammen?»
    «Ja», sage ich. «Ja. Wir bleiben zusammen, wie es sein sollte.»
    Ich streiche eine
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